Schwerpunkt Konflikte
von Christoph Theile
Konflikt im Büro – die Emotionen kochen hoch
Kein Konflikt im Büro ohne Emotionen – das leuchtet jedem sofort ein. Schließlich bringen uns die Gefühle in Wallung, in Rage und führen so zu Streit mit den Kollegen. So zumindest die landläufige Meinung. Was weniger bekannt ist: Emotionen führen uns nicht nur rein in den Konflikt, sondern auch wieder heraus. Sie sind nicht nur Ursache, sondern vor allem die beste Lösung für Konflikte.
Der schlechte Ruf von Emotionen
In unseren Kulturkreisen genießen Emotionen im Berufsleben immer noch einen denkbar schlechten Ruf. Viele Menschen denken, dass Emotionen im Businesskontext nichts zu suchen haben. Wenn jemand sagt, ein Kollege sei „immer so emotional“, bedeutet das, dass dieser nicht professionell agiert. Tränen sorgen für Spott, Gefühlsausbrüche werden belächelt, Zorn ist ein Fall fürs Coaching.
Diese Meinung ist verkehrt. Emotionen im Job sind nicht nur etwas, das man ausnahmsweise mal tolerieren darf. Sie sind vielmehr erfolgsentscheidend. Bestimmte Prozesse in Unternehmen sind ohne Emotionen gar nicht möglich. Veränderungsprozesse erfordern ein sensibles Erkennen und Berücksichtigen der Gefühlslage der betroffenen Mitarbeiter; auch das Zeigen eigener Gefühle ist dabei extrem hilfreich. Gleiches gilt für das Einschwören eines Teams auf ein neues Projekt. Und für die meisten Formen der Kommunikation – ob mit Kollegen, Kunden oder Dienstleistern – sind Emotionen entscheidend fürs Gelingen. Denn Wörter und Argumente können Menschen nur rational erreichen. Für ein echtes „Mitnehmen“ anderer Menschen sind Emotionen erforderlich. Gerade für Führungskräfte, die die Aufgabe haben, große Teams zu motivieren, zu Leistungen zu bewegen und für ihr Unternehmen und ihre Tätigkeiten zu begeistern, sind Emotionen ein unverzichtbares Werkzeug.
Die Rolle von Emotionen in der Konfliktlösung
Auch Konflikte sind ohne Emotionen nicht denkbar. Und Konflikte sind – wie in jeder normalen Familie – auch für jedes Unternehmen sinnvoll und gesund. Unterschiedliche Abteilungen verfolgen verschiedene Ziele und Interessen – da bleiben Reibungspunkte nicht aus. Wichtig ist aber, Konflikte konstruktiv zu führen. In Unternehmen, in denen Emotionen an den Rand gedrängt werden, werden Konflikte oft vermieden – mit teilweise desaströsen Folgen. Jeder versucht instinktiv, sich aus möglichen Konflikten herauszuhalten. Warum? Weil wir Angst haben, in einem Konflikt die Kontrolle zu verlieren. Wir gucken lieber weg: „Der kriegt sich schon wieder ein.“ Dabei ist Hingucken viel besser!
Also ist es wichtig, dass die Mitarbeiter sich in der Lage fühlen, konstruktiv in einen Konflikt hineinzugehen. Dafür benötigen sie Souveränität hinsichtlich ihrer eigenen Emotionen und denen ihres Gegenübers. Und nicht zuletzt ist das Zulassen von Emotionen im Beruf auch deshalb wichtig, weil unterdrückte Gefühle auf Dauer zu psychischen und physischen Krankheiten führen können. Wer Kränkungen und Enttäuschungen am Arbeitsplatz herunterschluckt und freundlich weiter lächelt, gefährdet nicht nur sein seelisches Gleichgewicht, sondern auch seine Gesundheit.
Und was ist mit Tränen?
Tränen gelten in vielen Unternehmen noch als Karrierekiller. Ein Mann, der weint, ist völlig indiskutabel und kann sich bis zur Rente des Spotts seiner Kollegen sicher sein. Dabei haben Tränen eine geradezu reinigende Wirkung. Wer konstruktiv und bewusst emotional in einen Konflikt geht, darf auch zulassen, dass ihm die Auseinandersetzung Tränen in die Augen treibt. Wenn in einem Konflikt beide Parteien ihren Emotionen freien Lauf lassen, nichts herunterschlucken, sondern der Gegenseite zeigen, wie sie die Situation tangiert, sind beide Parteien danach meist deutlich besser in der Lage, die Zusammenarbeit fortzusetzen.
Wie kann ich Emotionen aktiv als Ressource nutzen?
Wieso haben viele Menschen ein negatives Bild von Emotionen? In der Tat können sie äußerst lästig sein. Wenn wir nicht im Einklang mit ihnen leben. Wenn wir sie sorgsam unterdrücken und sie dann plötzlich – ähnlich einem Vulkanausbruch – hervorbrechen. Wenn sie uns übermannen und den Verstand ausschalten. Aber diese destruktive Kraft besitzen Emotionen nur, wenn wir sie ignorieren und als Störfeuer begreifen. Wenn wir ihnen hingegen Respekt zollen und ihnen Raum geben, dann können wir sie aktiv als Ressource nutzen. Und die gute Nachricht ist: Jeder Mensch ist emotional. Und jeder kann lernen, seine Emotionen präzise wahrzunehmen und sie als Werkzeug bewusst einzusetzen.
Jede Emotion unterstützt ein Ziel und ein Bedürfnis
Um diesen Gedanken zu erläutern, muss ich ein wenig ausholen. Es gibt sieben Basis-Emotionen, die der amerikanische Anthropologe und Psychologe Paul Ekman in den 1970er-Jahren erforscht hat und die mittlerweile global anerkannt sind. Es handelt sich um Freude, Zorn, Furcht, Trauer, Ekel, Verachtung und Erstaunen. Jede dieser Emotionen verfolgt ein bestimmtes Ziel und unterstützt uns damit in unseren Vorhaben. Die Furcht hat beispielsweise ein Gefühl von Sicherheit zum Ziel. Wenn man sich in einer bestimmten Situation nicht sicher fühlt, kommt diese Emotion mit großer Kraft hoch. Sie signalisiert, dass man etwas für seine Sicherheit tun muss. Insofern hat jede Emotion ihre Berechtigung. Und, eine ganz wichtige Erkenntnis, es gibt keine negativen Emotionen! Menschen haben sich nur angewöhnt, sie negativ zu nutzen. Selbst wenig positiv besetzte Emotionen wie Ekel oder Verachtung sind wertvoll im Job. Ekel hilft uns zum Beispiel, Abstand gegen übergriffige Chefs oder despektierliches Verhalten aufzubauen und damit unsere geistige Gesundheit zu schützen. Denn, ganz richtig, Ekel verfolgt das Ziel Gesundheit. Verachtung hingegen schafft Klarheit über die eigene Identität und Bedürfnisse – auch ein wichtiger Faktor hinsichtlich Resilienz und Work-Life-Balance.
Wie lassen sich Emotionen spontan erzeugen?
Wer seine eigenen Emotionen gezielt einsetzt, sie quasi bewusst hoch- und runterfahren kann, kann damit auch die Emotionen seines Gegenübers beeinflussen. So lassen sich Begeisterung verstärken, Ängste abbauen, Widerstände reduzieren und Neugierde wecken. Zugegeben, es erfordert ein bisschen Training, bis man seine Emotionen nutzen kann wie eine gut sortierte Werkzeugkiste. Aber es gibt für jede Emotion Übungen und eine bestimmte innere Haltung, die sich erzeugen lässt. Zudem geht jede Emotion mit einer typischen Mimik einher, die man ebenfalls einsetzen kann, um die Emotion zu erzeugen.
Fazit
Wir verbringen einen Großteil unseres wachen Lebens am Arbeitsplatz, da ist es nicht verwunderlich, dass uns das, was dort geschieht, emotional berührt. Immer mehr Menschen leiden unter seelischen Belastungen im Job, weil sie sich nicht wertgeschätzt, unter- oder überfordert fühlen, weil sie in Konflikten zu Kollegen stehen oder Angst vor der beruflichen Zukunft haben. Diese Belastungen resultieren aus Gefühlen, denen kein Raum gegeben wird. Und sie führen zu einer immer höheren Krankheitsquote, reduzierter Leistungsbereitschaft, Burn-out oder innerer Kündigung. Wer lernt, sich bewusst zu machen, wie sein Job ihn emotional berührt, und aktiv mit diesen Emotionen umgeht, verfügt über die in meinen Augen wichtigste Kompetenz für ein erfolgreiches und erfülltes Berufsleben. Und wer sogar in der Lage ist, neben seinen eigenen Emotionen auch die seiner Kollegen zu erkennen, zu berücksichtigen und sie aktiv zu stärken oder zu mildern, ist eine extrem wertvolle Führungskraft. Weil er es schafft, für sein Unternehmen eine Kultur zu schaffen, in der Emotionen einen Platz haben.
Kontakt: c.theile(at)eqting.com.
Bildquelle: © Theile
Über den Autor
Christoph Theile ist Speaker und Geschäftsführer der EQTing GmbH – the emotions company in Hamburg. Der studierte Wirtschaftsmathematiker wurde im Jahr 2016 von XING als Top Coach ausgezeichnet. Die Trainingsmethode EQTing ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden, etwa 2017 mit dem HR Excellence Award in der Kategorie Führungskräfteentwicklung.