Führung über den Viktualienmarkt

Den Münchner Viktualienmarkt kennt doch schon ein jeder von uns – aus eigener Anschauung oder aus (schon etwas älteren) Kultserien im Fernsehen mit dem Monaco Franze und seinem Spatzl. Braucht es da eigentlich noch eine Führung?

Selbstverständlich! Sowohl für die historische Einord-nung als auch für den unmittelbaren sinnlichen Eindruck bringt eine Führung wertvolle Erkenntnisse. Und eine besondere Freude ist es für die Teilnehmer, wenn die Führung von der Kunsthistorikerin Daniela Thiel geleitet wird, die viele Einzeldetails gekonnt und mit breitem Hin­tergrundwissen in einen großen Kontext setzen kann. Mitte Juni bei blauem und vor allem trockenem Him­mel hat die Regionalgruppe Süd im bewährten Dop­pel-Wumms-Modus (mit einer Vormittags- und einer Mittagsveranstaltung) die Erkundung in Angriff ge­nommen.

Der heutige Marienplatz, der früher Schrannenplatz hieß, war lange Zeit der zentrale Marktplatz von München, auf dem Gemüse, Obst, Getreide, Fisch und auch lebende Tiere täglich verkauft wurden. Heute mag man sich nicht vorstellen, wie es zugegangen sein mag, wenn dort auch direkt Ziegen, Schafe und Hühner geschlachtet wurden. Der Fischbrunnen auf dem Marienplatz hat seinen Na­men tatsächlich von den Fischständen rundherum er­halten. Auf dem Platz des heutigen Viktualienmarktes befand sich das Heiliggeistspital mit Kirche, Wohn-, Wirt­schaftsgebäuden und Krankenhaus. Nachdem das Spital teilweise durch Brände zerstört wurde und der Markt auf

dem Marienplatz aus allen Nähten platzte, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts beschlossen, den Markt vom Mari-enplatz auf das Spitalgelände umzuziehen. Das Schlach­ten von Tieren wurde ausgelagert auf ein neu dafür ein­gerichtetes Schlachthofgelände. Die Metzger wurden in die Gewölbe-Bögen gegenüber der Heiliggeistkirche be­ziehungsweise unterhalb von St. Peter verbannt. Geblie­ben ist die Heiliggeistkirche in schönster Rokokoverzie-rung. Ein besonderer Brauch ist auf dem Deckengemälde im Mittelschiff verewigt: Ein Schimmel und davor einige Brezn – einmal im Jahr hatte nämlich der „Breznreiter“ Brezn auf dem Platz neben der Kirche verteilt.

Vor 200 Jahren herrschten auf dem Markt ganz buch­stäblich „Kraut und Rüben“. „Viktualien“ bedeutet übri­gens einfach soviel wie „Lebensmittel“. Heute finden sich neben dem einheimischen, überwiegend in Niederbayern angebauten Gemüse jedoch alle erdenklichen exotischen Früchte und Gemüsesorten. Es gibt nichts, was auf dem Viktualienmarkt nicht zu haben wäre und alles in höchster Qualität. Ein erster veganer Metzger ist genauso zu finden wie ein Pferde- oder ein Wildmetzger. Beim Metzger Eisen­reich gibt es alle Teile vom Tier – neudeutsch würde man „nose to tail“ sagen. Überhaupt ist der Viktualienmarkt ein Ort, der friedlich Gegensätze vereint: klassische Tradi­tionsstände wie das Honig-Häusl (früher gab es ja gar kein anderes Süßungsmittel), die Suppenküche und den Stand mit Münchner Käse (multilingual verkauderwelscht als „artisan cheese“), aber genauso die auf Instagram viral gegangene „Saure Ecke“, wo nun Gäste aus Fernost in lan­ger Schlange je eine Essiggurke à 70 Cent verspeisen. Es gibt Kohlrabi und Kartoffeln genauso wie Trüffeln, in edlen Fischgeschäften kann man Champagner und Austern ver­speisen oder sich schlicht bei der Nordsee eine Fischsem­mel holen. Eigens für die Fischer aus dem Norden wurde Anfang des 20 Jahrhunderts der Pavillon gebaut, um den bayerischen Fischern mehr Wettbewerb zu bescheren. Schickeria mit Zeit und Geld, Büroleute auf der Jagd nach einem schnellen Mittagsimbiss und ganz normale Münch­ner, die ihr Gemüse kaufen, sind hier zu finden. Kultur und Kulinarik, Dorf und weltoffene Stadt zugleich haben hier nebeneinander Platz.

Münchner Originale und Kleinkünstler sind auf diversen Brunnen verewigt – zum Beispiel Liesl Karlstadt, Karl Valentin, Ida Schumacher, Weiß Ferdl.

Wer mit Service sitzen mag, besucht den zentralsten Bier­garten Münchens, in dem ganz gerecht der Bierausschank im Rotationsprinzip zwischen den Münchner Brauereien wechselt. Diese angestammten Brauereien finanzieren auch den in der Mitte aufgestellten Maibaum. Dieser ist ganz der Münchner Lebenskultur gewidmet: Tanz, Schank­kellner, Schäffler, Brauer und ein paar Heilige.

Nach dem Ende der Corona-Pandemie wurde der Markt­platz mit lockeren Sitzgelegenheiten und jahreszeitlich bunt bepflanzten Blumenkästen angereichert und lädt zum Verweilen ein. Man holt sich beim besten Bäcker­stand eine Breze, einen frisch gepressten Obst- oder Ge­müsesaft, alternativ beim Kaffeestand ein Heißgetränk mit Milch oder Hafer-Ersatz und lässt es sich gut gehen. Während unseres Rundgangs hat sich jeder schon heim­lich überlegt, was er sich als Brotzeit holen wird, und nach dem verdienten Applaus für unsere Begleiterin und den Organisator Dr. Dirk Schmidt flanieren die Teilnehmer nochmals individuell über den Viktualienmarkt, um des­sen Flair und Köstlichkeiten zu genießen. Es war wirklich einen Besuch wert!

Simone Fischer, Dr. Dirk Schmidt Vorstand der RG Süd

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