Fußball als Vorbild?!

Schwerpunkt Fußball

von Julia Kümper

Julia Kümper © Match-Watch GmbH
Julia Kümper
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Die Enttäuschung gleich vorweg: Der Fußball als Gesamtkonstrukt, also in all seinen Facetten, ist nicht als Vorbild für Unternehmen geeignet. Wie überall sonst gibt es auch hier Licht und Schatten – Vorsicht also vor Glorifizierungen. Der Umgang mit Rassismus, die Ungleichbehandlung des Frauen- und Männerfußballs sowie die Informationen aus den Football Leaks sind nur einige Beispiele für negative Seiten des Fußballs. Genau wie bei Change-Methoden, New-Work-Werkzeugen und Unternehmensorganisation ist es wichtig, die vorhandenen theoretischen Konstrukte zu bewerten und zu identifizieren, welche für das eigene Unternehmen geeignet sind. Begeben wir uns auf die Mikroebene des Fußballuniversums – zum Menschen, oder besser: zum Spieler –, so sehen wir sehr fortschrittliche und vorbildliche Arbeit, von der Wirtschaft, Unternehmen und Führungspersonen lernen können.

Spieler im Mittelpunkt

Der professionelle Vereinsfußball hat die Spieler als seine wichtigste „Ressource“ identifiziert und somit früher als Unternehmen erkannt, dass die Individualisierung der Betreuung von Menschen essenzieller Bestandteil für ein funktionierendes System ist. Damit einher geht die individuelle Würdigung der Bedürfnisse der Mitarbeitenden – wobei damit im Folgenden ausschließlich die Spieler gemeint sind, auf die sich diese individualisierte Betrachtung beschränkt. Basierend auf den Stärken und Schwächen der Spieler, bildet sich idealerweise eine Spielphilosophie, aus der wiederum taktische Entscheidungen und Spielsysteme abgeleitet werden. Kategorisierend gibt es hierbei, vereinfacht gesprochen, zwei verschiedene Ansätze: Entsprechend der Vereins- bzw. Trainerphilosophie wird ein bestimmtes System gespielt und passend zu diesem System werden Spieler transferiert. Alternativ besteht die Möglichkeit, für die Stärken der einzelnen Spieler ein passendes Spielsystem zu entwickeln. Im Fußball ist der erste Weg der klar gängige, bei dem also ein Verein seinem System treu bleibt und Spieler transferiert, die dazu passen. In der Unternehmensrealität wäre diese Variante unwahrscheinlich, im wirtschaftlichen Umfeld würde eher ein bestehendes System durch eine neue Führungsperson ergänzt.

Unsplash © connor-coyne
Der professionelle Vereinsfußball hat die Spieler als seine wichtigste „Ressource“ identifiziert
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Die Arten der Zusammenarbeit und Organisationsstruktur, von Holokratie bis Hierarchie, orientieren sich idealerweise an den Mitarbeitenden. Dies setzt voraus, dass das eigene Führungssystem und das reale Führungssystem im Unternehmen erkannt und verstanden wurde. Hier hat es der Fußball – zumindest vermeintlich – einfacher. Positionen wie Stürmer und Torwart sind zunächst eindeutig festgelegt. Allerdings ist längst auch auf dem Platz eine erhöhte Flexibilität gefragt, was Begrifflichkeiten wie „falscher Neuner“ bereits andeuteten. Die Spieler agieren angepasst an die Bedürfnisse, die sich aus dem System ergeben – was zum Beispiel heißt, dass ein Offensivspieler heute unterschiedliche Positionen bekleiden muss. Der „falsche Neuner“ kann also morgen schon als „richtiger Neuner“ auflaufen, wird aber nach wie vor nicht in der Verteidigung zu finden sein, weil er weiterhin Kernkompetenzen hat, die aber variabler sind als früher. Wer besetzt bei Ihnen welche Position?

Ein essenzieller Bestandteil des Fußballs ist die Unterteilung in bewusste Phasen, also einerseits die Vorbereitung zur Einübung des Systems und andererseits die intensive Performance während der Saison. Diese speziell herausgestellte Phase der Einübung neuer Verhaltensmuster ist eine Option für Unternehmen, die sich den Veränderungsprozessen der Zukunft stellen müssen. Bereits in den 1970-er Jahren konnte die Organisationsforschung zeigen, dass innerhalb eines Teams der bewusste Wechsel zwischen Wettbewerbssituation (Training – also der Wettbewerb um den Startelfeinsatz) und Teamsituation (Spieltag – also der Kampf aus dem Team heraus) positiven Einfluss auf Performance und Teamhygiene hat. Mittlerweile wird theoretisch diskutiert, wie diese „Coopetition“ – also die Gleichzeitigkeit von Wettbewerb und Kooperation – zu behandeln ist. (1)

(1)  Published: 20 February 2017
Kooperation und Wettbewerb in Organisationen
Ralf Lanwehr & Falko von Ameln  
Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte
Organisationspsychologie (GIO) volume 48, pages1–4(2017)Cite this article

Wertschätzung ist ein Schlüssel

Das Zurückstellen aller persönlichen Bedürfnisse zugunsten des Teams in der tatsächlichen Spielsituation ist für den Spieler nur dann attraktiv, wenn sein Beitrag als solcher wertgeschätzt wird. Dazu zählt auch, dass der Trainerstab wahrnimmt, dass ein Spieler nicht selbst aufs Tor schießt, sondern seinen Mitspieler in einer günstigeren Schussposition bedient. Bei Betrachtung der Torjägerliste würde der abspielende Spieler keine Beachtung finden – wobei ihm natürlich ein Assist, also eine Vorlage, verzeichnet wird. Wichtig ist hier also die Frage: Wie erfasse ich den „Abspieler“, seinen Wert und den daraus resultierenden Mehrwert?
Unternehmen müssen sich fragen, wie sie diese wenig offensichtlichen Handlungen analog zum Scorer-Punkt „Assist“ identifizieren und honorieren können. Kennen Sie die verborgenen Handlungen in Ihrem Unternehmen und wie bewerten Sie diese?

Als letzter Punkt mit Bezug auf die Individualebene: Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Die Performance wird während der Saison wöchentlich sichtbar – erst im Training, auf dessen Basis der Coach seine erste Elf nominiert, dann auf dem Platz am Spieltag – und damit auch die Wirksamkeit des Systems und der individuellen Betreuung. Die Arbeitswirklichkeit zeigt sich im Alltag. Abstände und Frequenzen des Fußballs sind hier abermals sinnvoll als Vorbild für die Wirtschaft. Jährlich stattfindende Personalgespräche sind allenfalls ein oberflächliches Symbol von Wertschätzung. Führungsaufgabe ist es aber, im permanenten Austausch mit Mitarbeitenden zu stehen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Wenn dies aus Zeitmangel nicht möglich ist, muss diese Aufgabe delegiert werden. Welcher Spieler bleibt bei einem Verein, in dem er nicht wertgeschätzt wird? Damit ist nicht gemeint, dass er immer in der Startelf stehen muss – dies wäre ein oberflächliches Symbol wie das Jahresgespräch –, es geht vielmehr darum, dass er selbst auf der Bank weiß, dass er ein wichtiger Bestandteil des Teams ist und gebraucht wird. Wer in Ihrem Unternehmen hat wirklich das Gefühl, gebraucht zu werden?

Digitalisierung

Wenden wir uns von der menschlichen Ebene hin zu dem Buzzword unserer Zeit: Digitalisierung. Seit der Saison 2018/19 dürfen Vereine während des Spiels digitale Hilfsmittel verwenden. Die Evaluierung von Mannschaftsleistung und Spielsystem wird so in Echtzeit vorgenommen. Während der Halbzeit wird dem Team sein Verhalten daten- und videogestützt mit Lösungsvorschlägen gespiegelt. Daran ist zum einen die Schnelligkeit der Evaluierung empfehlenswert für die Wirtschaft. Diese ist vergleichbar mit dem „Lean-Gedanken“, schnell zu scheitern und nicht erst hohe Investitionen zu tätigen. Hier bietet digitalisierte Evaluierung eine Möglichkeit, in Echtzeit Prozesse zu erfassen und transparent darzustellen.

Entscheidend ist an der Halbzeitansprache aber auch, dass sie mitnichten nur der Kritik dient, vielmehr wird diese direkt durch Lösungsvorschläge ergänzt. Dieses Zusammenspiel zwischen digitalen Werkzeugen und menschlichen Herangehensweisen (Datenerfassung & Lösungsvermittlung) ist für Unternehmen in Zukunft essenziell. Die Digitalisierung von Prozessen und KPIs hilft den Unternehmen nicht, wenn sie lediglich zur Fehleraufzählung des menschlichen Handelns werden. Vielmehr müssen die Daten als Grundlage für Veränderung und Lösungskommunikation verstanden werden.

Zusammenfassend betrachtet bietet der Fußball in einzelnen Bereichen durchaus Vorbildcharakter, ist aber dennoch weit entfernt, diesen Anspruch auf allen Ebenen und Dimensionen zu verwirklichen. Aber genau wie in der Wirtschaft ist es wichtig, den ersten Schritt zu machen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Genauso wie die Geschichte des Fußballs ist auch die Geschichte der Wirtschaft geprägt durch Weiterentwicklung, veränderte Regularien und gesellschaftliche Einflüsse. Beiden gemein ist, dass sie als Vorbild fungieren und die Sozialisation von Menschen erheblich mit beeinflussen. Dieser Verantwortung müssen sich sowohl Unternehmen und Führungskräfte als auch Vereine und Verbände bewusstwerden, sie annehmen und daraus verantwortungsvolles Handeln ableiten.

Kontakt: jk@match-watch.de

Über die Autorin

Julia Kümper ist Gründerin & Geschäftsführerin der Match-Watch GmbH sowie Geschäftsführerin bei VentureVilla Accelerator GmbH.

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