Kindererziehungszeiten

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Das besondere Urteil!

„Keine Benachteiligung von Vätern bei Kindererziehungszeiten !?!“

Männer werden bei der Zuordnung von Kindererziehungszeiten nicht aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert.

Es liegt keine verfassungswidrige Benachteiligung von Männern darin, dass Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel der Mutter anerkannt werden, so der 5. Senat des BSG (Urt. v. 18.04.2024, Az. B 5 R 10/23 R).

Was sind Kindererziehungszeiten?

Grundsätzlich können Eltern, die mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt waren, ihre Rentenkasse durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten aufbessern. Können Eltern also nicht oder nicht voll arbeiten, weil sie sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern, werden diese Zeiten bei der Rentenberechnung berücksichtigt. Diese Zeiten werden als Beitragszeiten bei der Berechnung der Rente angerechnet. Für Kinder die vor 1992 geboren wurden, werden bis zu 30 Monate und für nach 1992 geborene Kinder bis zu 36 Monate angerechnet.

Dieser Ausgleich für die Einbußen aufgrund der beruflichen Einschränkungen durch die Kindererziehung ermöglicht es, Rentenlücken zu schließen oder überhaupt erst den Anspruch auf eine Rente zu eröffnen.

Wer bekommt die Kindererziehungszeiten gutgeschrieben? Geht das auch nachträglich?

Erst einmal kann festgestellt werden, dass sowohl Männer als auch Frauen die Kinderziehungszeiten beanspruchen können; eben die leiblichen Eltern. Es können in besonderen Fällen auch die Stief- oder Adoptiveltern und sogar Großeltern und Verwandte berechtigt sein.

Allerdings werden Kindererziehungszeiten in der Regel nicht automatisch auf die Rente angerechnet. Vielmehr kann ein Antrag auf Feststellung mit dem Formular V0800 bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres des Kindes gestellt werden. Dies geht allerdings nur für zukünftige Zeiten oder maximal für 2 Monate rückwirkend.

Wer bestimmt, wem die Kindererziehungszeiten gutgeschrieben werden?

Dies hat der Gesetzgeber in § 56 SGB VI festgelegt.

Die Entscheidungsgewalt darüber, wem die Rentenversicherung die Kindererziehungszeiten anrechnen soll, haben die Eltern gemeinschaftlich. Sie stellen einen gemeinsamen Antrag und geben die entsprechende Erklärung ab.

Sind die Eltern sich nicht einig, werden die Kindererziehungszeiten auf Antrag dem Elternteil zugeschrieben, dass hauptsächlich für die Erziehung verantwortlich war. Dies wird dann von Amtswegen anhand objektiver Kriterien ermittelt. Ein wichtiges Indiz ist zum Beispiel der Umfang der ausgeübten Beschäftigung. Wird die berufliche Tätigkeit unterbrochen, wird die Erziehung diesem Elternteil in der Regel unterstellt. Ist dies nicht eindeutig feststellbar oder liegt eine Gleichteilung vor, werden die Zeiten automatisch der erziehenden Mutter zugerechnet, vgl. § 56 Abs 2 S. 9 SGB VI „Vermutungsregelung“.

Warum kam es zu der Entscheidung des BSG?

Im konkreten Fall lebten die Eltern zunächst gemeinsam mit der im Jahr 2001 geborenen Tochter. Der Vater arbeitete weiter in Vollzeit und die Mutter nahm kurz vor dem 6. Geburtstag der Tochter eine geringfügige Beschäftigung auf. Im Jahr 2008 trennten sich die Eltern und die Mutter kehrte in ihr Heimatland Georgien zurück. Da die Eltern keine gemeinsame Erklärung über die Zuordnung der Erziehungszeiten abgegeben hatten, wurden der Mutter diese nach den gesetzlichen Vorgaben zugesprochen.

Der Vater klagte hiergegen und machte geltend, die sog. „Vermutungsregelung“ verstoße gegen die gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Art 3 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG). Er werde aufgrund seines Geschlechts benachteiligt und diese Regelung entspreche nicht mehr der gesellschaftlichen Realität des heutigen Rollen- und Familienbildes.

Das BSG hat anerkannt, dass die „Vermutungsregelung“ grundsätzlich eine Benachteiligung des Vaters darstellt. Allerdings sei diese Ungleichbehandlung ausnahmsweise gerechtfertigt. Immer noch seien es zum Großteil die Mütter, die nach der Geburt eines Kindes die berufliche Tätigkeit stark einschränken oder sogar aufgeben. Wie auch schon in der Vergangenheit, trügen Mütter auch heute noch häufiger die Hauptverantwortung für die Erziehung der Kinder. Es verbleibe dadurch weniger Zeit für eine Erwerbstätigkeit und komme deshalb in der Regel zu Nachteilen beim Aufbau der Altersversorgung. Nach der Auffassung des Gerichts habe sich die gesellschaftliche Realität eben (noch) nicht grundlegend und umfassend geändert.

Abschließend stellt das Gericht fest, dass die Zuordnungsregelungen des § 56 Abs. 2 SGB VI genügend Raum gäben, auch dem männlichen Elternteil Kindererziehungszeiten zuzuordnen. Es müsse dann allerdings im Streitfall dargelegt werden, dass der Hauptteil der Erziehungsarbeit beim Vater gelegen habe.

Schlussbemerkung:

Für manchen Leser mag es so erscheinen, dass die Richter*innen des BSG in diesem Urteil ein Bild von der momentanen Erziehungsverantwortung der Elternteile gezeichnet haben, das mit der Realität in heutigen Familien wenig zu tun hat. In der Regel sind Väter heute stärker in die Erziehungsarbeit eingebunden als noch vor 30 Jahren.

Allerdings ist anhand der statistischen Daten auch feststellbar, dass tatsächlich noch immer hauptsächlich Frauen die berufliche Tätigkeit nach der Geburt eines Kindes dauerhaft einschränken oder aufgeben. Insoweit ist die Argumentation des Gerichtes zum heutigen Zeitpunkt durchaus nachvollziehbar.

Es bleibt abzuwarten, ob die gesellschaftlich und politisch gewünschte Aufgabenstellung, Frauen auch nach einer Mutterschaft eine vollzeitige Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, erfüllt werden kann. Sollte dies durch den Ausbau von z. B. sicheren und umfangreichen Betreuungsangeboten erreicht werden, wird über das Thema der gerechtfertigten Ungleichbehandlung bei den Kindererziehungszeiten voraussichtlich noch einmal nachzudenken sein.

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