Leitend oder nicht leitend?! Teil 2: Die Zweifelsregelung des § 5 Abs. 4 BetrVG

v.l.n.r. Michael Krekels – DFK Vorstandsvorsitzender,
Nils Schmidt – DFK Vorstand

§ 5 Abs. 4 BetrVG hat lediglich Hilfsfunktion bei der Ab­grenzung des Begriffs „Leitende(r) Angestellte(r)“. Es sind selbst weder Tatbestandsmerkmale der/des leitenden Angestellten noch Regelbeispiele zu Abs. 3 enthalten. Die Bestimmung will die Gerichte nicht von der Pflicht zur Feststellung der für die Zuordnung maßgeblichen Tat­sachen entbinden, sondern Orientierungshilfe bei der Rechtsanwendung bieten. Es handelt sich nicht um eine Auslegungsregel, da die hier aufgeführten Tatbestände mangels Vergleichbarkeit keine Anhaltspunkte für die Definition der Tatbestandsmerkmale von Abs. 3 bieten. § 5 Abs. 4 ist erst anzuwenden, wenn trotz ausreichender Sachverhaltsfeststellung erhebliche rechtliche Zweifel an der Auslegung und Anwendung des Abs. 3 S. 2 Nr. 3 bleiben. Die Zweifel sind erheblich, wenn nach Ausschöpfen aller Auslegungsgrundsätze mindestens zwei Auslegungser­gebnisse vertretbar sind. Diese Voraussetzungen gelten auch für die Wahlvorstände, die eine Zuordnung vorneh­men müssen. Ob rechtlich erhebliche Zweifel vorlagen, die den Rückgriff auf Abs. 4 erlaubten, ist eine Rechtsfrage, bei der kein Beurteilungsspielraum besteht und die von den Arbeitsgerichten voll nach-geprüft werden kann.

Die Vorschrift des Abs. 4 soll den Gerichten und inner­betrieblichen Rechtsanwendern (Arbeitgeber, Be­triebsrat, Sprecherausschuss, Wahlvorstände, Ver­mittler nach § 18a BetrVG) bei der Anwendung des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG lediglich als Orientierungshilfe in Grenzfällen dienen.

vgl. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 23
Eine Anwendung des Abs. 4 kommt erst dann in Be­tracht, wenn nach vollständiger Ermittlung des Sach­verhalts erhebliche rechtliche Zweifel an der Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 BetrVG bleiben.

vgl. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 23
Nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten und unter Anwendung aller Auslegungsgrundsätze müssen zwei Auslegungsergebnisse vorliegen, die rechtlich in gleicher Weise vertretbar sind.

vgl. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 23
Eine leichtere Handhabung formeller Merkmale recht­fertigt die Anwendung des Abs. 4 nicht, da hierdurch in unzulässiger Weise der Grundtatbestand des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG verdrängt würde.

1. Bisherige Zuordnung
Ausschlaggebend ist jeweils die letzte Wahl. Es kommt allein auf die positive Zuordnung an. Beide Wahlvor­stände müssen den Angestellten übereinstimmend als leiten-den Angestellten angesehen haben, oder der Betriebsrat muss den Angestellten bei der letzten Be­triebsratswahl nicht in die Wählerliste aufgenommen haben. Auch die Zuordnung bei der Wahl von Aufsichts­ratsmitgliedern der Arbeitnehmer hat Indizwirkung. Da­bei ist zu beachten, dass nach den Wahlordnungen zum MitbestG die Zuordnung auch von der Selbsteinschät­zung des Arbeitnehmers abhängen kann (§ 10 1. WO MitbestG; § 10 2. WO MitbestG; § 11 3. WO MitbestG).

2. Leitungsebene
§ 5 IV Nr. 2 meint die Leitungsebene i.S.d. hierarchi­schen Ebene im Unternehmen, wobei der vom Unter­nehmer aufgestellte Organisationsplan als Prüfungs­grundlage dient. Entscheidend ist, ob die derselben Ebene zuzuordnenden Angestellten als leitende An­gestellte i.S.d. Grundtatbestands zu qualifizieren sind. Überwiegend vertreten heißt zu mehr als 50%. Dabei sind nur solche Angestellten zu berücksichtigen, deren Status als leitende Angestellte zwischen den Beteilig­ten unstreitig ist oder feststeht.

3. Vergütung
Nach § 5 IV Nr. 3 ist das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt – siehe § 14 SGB IV maßgeblich, das im kon­kreten Unternehmen für leitende Angestellte üblich ist. Einbezogen sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen einschließlich Tantiemen, Gratifikationen und Sachbezügen. Ausgenommen sind nur einmalige Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch für die Zu­kunft besteht.

Auch in diesem Zusammenhang sind nur solche leiten­den Angestellten zu berücksichtigen, deren Status fest­steht oder unstreitig ist. Üblich bedeutet nicht durch­schnittlich, sondern lediglich, dass Abweichungen nach oben oder nach unten auf Grund besonderer Faktoren wie höheren Lebensalters, Betriebszugehörigkeit und ähnliches nicht zu berücksichtigen sind. Im gerichtli­chen Verfahren muss der Arbeitgeber, wenn es für die Statusbeurteilung darauf ankommt, über die Höhe, der an die leitenden Angestellten gezahlten Vergütung, konkret Auskunft erteilen. Zur namentlichen Benen­nung ist er nicht gehalten, wenn nicht ausnahmsweise die Namensnennung zur Ermittlung des üblichen Ge­halts erforderlich ist.

4. Bezugsgröße
Die dreifache Bezugsgröße beträgt im Jahr 2019 in den alten Bundesländern und West-Berlin 112 140 €, in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin 103 320 €. Der Rückgriff auf Nr. 4 ist unzulässig, wenn nur Zweifel über das Bestehen des Grundtatbestands des § 5 III S. 2 Nr. 3 vorliegen oder das Fehlen der Voraussetzungen des § 5 IV Nr. 3 fest-steht. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist daher gering.

III. Zusammenfassung

Für den Status als Leitenden Angestellten kommt es zwingend auf die drei Kriterien des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 an.

  • selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis
  • Generalvollmacht oder Prokura, die im Innenverhält­nis nicht unbedeutend ist
  • Wahrnehmung von Aufgaben, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung be­sondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt und Entscheidungen im Wesentlichen frei von Wei­sungen treffen oder sie maßgeblich beeinflussen

Die Voraussetzungen müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern es reicht aus, wenn ein Kriterium erfüllt ist.

Die Zweifelsregelung des § 5 Abs. 4 BetrVG mit den dortigen Kriterien ist nur dann an-zuwenden, wenn tat­sächliche Zweifel vorliegen, ob ein Arbeitnehmer die Vorausset-zungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG erfüllt oder nicht. Hierzu müssen zwei Möglichkeiten klar vor­liegen. Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG bereits nicht vor bzw. werden diese verneint, kommt die Auslegungsregel des § 5 Abs. 4 BetrVG nicht zur Anwendung und der Arbeitnehmer ist kein Leitender Angestellter im Sinne des § 5 BetrVG.

ns/kk

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