Niki de Saint Phalle – Ausstellungsbesuch der RG Mitte in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt

(c) norbert miguletz

Sie schoss (auf Ihre Bilder) und veranstaltete teils radikale Happenings (Kunstaktionen). Mit ››Hon‹‹ schuf sie im Jahr 1966 (zusammen mit Jean Tinguely) einen riesigen begehbaren Frauenleib, 25 Meter lang, 9 Meter breit, 6,5 Meter hoch. Ebenfalls Mitte der 1960er-Jahre folgen weitere Großplastiken: Es ist die Geburtsstunde der Nanas (Sinnbild des Matriarchats), mit denen Niki de Saint Phalle noch heute einem Millionenpublikum bekannt ist. Während eines geführten Rundgangs durch die Ausstellung am 11. Mai 2023, konnten die Teilnehmenden der RG Mitte in den vielseitigen Kosmos dieser kreativen Künstlerpersönlichkeit eintauchen und sie für sich (neu) entdecken.

De Saint Phalle verhandelte das Feminine, die Frau, in ihrem Werk wie kaum eine andere. Es wurde zum zentralen Thema ihres Schaffens. Ob als Gebärende in dreidimensionaler Materialassemblage in ››Die rosa Geburt‹‹ (1964), als Verschleierte in ››Die Braut zu Pferd‹‹ (Bronzeskulptur, 1997) oder eben in Form der Nanas. Letztere strahlen trotz ihres voluminösen Körpers Leichtigkeit und Lebensfreude aus. Sie sind starke Persönlichkeiten, richten sich gegen propagierte weibliche Körperformen und feiern die (normale) Frau von der Straße.

Der Umgang mit gesellschaftlichen Konventionen, deren Infragestellung und ein sich davon Lösen, zeigt sich immer wieder in den Facetten der experimentierfreudigen Künstlerin. Ihre Werke sind Auflehnung, Provokation und Aggression, dabei aber auch von Humor (bis hin zum Makabrem) sowie Zweideutigkeit geprägt. Ihre politischen Aussagen richteten sich gegen die in den USA gelebte Waffenkultur ebenso wie sie sich später gegen Aids und für Umweltthemen engagierte. Ihren ersten Mann und die beiden gemeinsamen Kinder verließ sie in einer Zeit der Sittenstrenge und provozierte damit gesellschaftliche Empörung.

Geboren im Jahr 1930 in ein aristokratisches Milieu hinein, wird de Phalle stark von der streng katholischen Erziehung und dem schwierigen Verhältnis zu Mutter und Vater geprägt. Sie ringt um ihr seelisches Gleichgewicht: Nach Verhaltensauffälligkeiten wechselt sie die Schule, nach einem Nervenzusammenbruch mit Psychiatrieaufenthalt findet sie zur Malerei. Die Kunst hilft ihr dabei, die eigene Wut zu verarbeiten. Autodidaktisch erschafft de Phalle ein vielseitiges Oeuvre: Den frühen Gemälden folgen teils großformatige Assemblagen, Plastiken und Letter Drawings (Zeichnungen mit Textinhalten). Sie experimentiert mit Scherbentechnik und Mosaiken, entwickelt sogar Gebäude. Mit ihrem zweiten Ehemann, dem Künstler Jean Tinguely, arbeitete sie bis zu dessen Tod intensiv zusammen. Auch finden sich Anlehnungen an den spanischen Architekten Antoni Gaudí in ihrem Werk. Mit der Errichtung des ››Tarotgarten‹‹ (1979-1998) bei Garavicchio in der Toskana verwirklichte sie sich schließlich einen Lebenstraum.

De Phalle schaffte es, sich sowohl von gesellschaftlichen Konventionen als auch finanziell zu emanzipieren. Unternehmerisch scharfsinnig bindet sie ihr Publikum in ihre Kunst ein, lässt es partizipieren. Sie arbeitet mit billigen Materialien wie Gips, Polyester, Plastik und gefundenen Alltagsobjekten, betreibt eine offensive Selbstvermarktung und geht in die Auflagen. Durch diese Massenproduktion für kleines Geld und Jedermann, bringt sie ihre Kunst nicht nur in die breite Öffentlichkeit und wird zur Ikone der europäischen Pop-Art, sondern generiert auch die nötigen finanziellen Mittel, um ihre Projekte eigenständig zu finanzieren.

Ihre Arbeit rettete sie einst – und nahm – Niki de Saint Phalle das Leben. Die Künstlerin stirbt im Mai 2022 nach schweren gesundheitlichen Problemen infolge der jahrelangen Verarbeitung der giftigen Materialien wie Polyester und Glasfaser. Die SCHIRN Kunsthalle reflektiert ihr Leben innerhalb der Ausstellung trefflich mit dem Zitat: „Ich bin Künstlerin geworden, weil ich keine Wahl hatte, ich brauchte also keine Entscheidung zu treffen. Es war mein Schicksal. […] Ich habe die Kunst als meine Erlösung und als eine Notwendigkeit angenommen.“

Nancy Luthardt

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