Depressionen im Leistungssport: der Ausstieg aus dem Tennis von Naomi Osaka. TableDas vierte Sanktionspaket gegenüber Russland, welches die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem informellen Gipfel in Versailles beschlossen haben, zielt darauf ab, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, „das Land weiter zu isolieren und ihm die Ressourcen zu entziehen, die es zur Finanzierung dieses barbarischen Krieges einsetzt“.
Dieser Beschluss stellt die jüngste einer Reihe von Maßnahmen dar, welche die EU nach einem kurzen Zögern den wichtigsten Facetten der russischen Aggression entgegensetzt. In drei Kerndimensionen lassen sich diese Maßnahmen gliedern, wie das Jacques Delors Centre kürzlich analysiert hat.
Gezielte militärische Maßnahmen
Mit der Absicht, die Resilienz der Ukraine stärken und den Aggressor Russland abzuschrecken, gingen das Bündnis sowie einige Mitgliedstaaten kurzfristig Tabubrüche ein und erklärten sich zu Waffenlieferungen an Kiew bereit. Für Deutschland wie für die neutralen Staaten Finnland und Schweden bedeutet dies eine historische Kehrtwende. Auch der EU-Beschluss, die ukrainische Armee mit Waffen im Wert von 450 Mio. Euro und Ausrüstung – etwa Treibstoff und Schutzausrüstung – im Wert von 50 Mio. Euro zu beliefern, ist ein Novum, da die Europäische Union erstmals ein Land, das angegriffen wird, auf diese Weise unterstützt. Eine weitere Tranche über 500 Mio. € für Waffen und Ausrüstung wurde beim EU-Gipfel in Versailles angekündigt.
Mittelfristig zeichnen sich weitere Trends in einigen EU-Staaten ab, wobei alte Prinzipien hinterfragt werden. So steigt in Schweden und Finnland die Zustimmung zu einem NATO-Beitritt und Dänemark wird im Juli ein Referendum abhalten, um die 30 Jahre alte Opt-out-Klausel zu überdenken, die es bisher von der gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU ferngehalten hat. Auch die Erhöhung nationaler Verteidigungsetats, wie erst kürzlich von der Bundesregierung angekündigt, gehört zu den Reaktionen der EU.
Breite migrationspolitische Antwort
Angesichts des erwarteten Zustroms aus der Ukraine von mehr als 4 Mio. Flüchtenden wurde kurzfristig die EU-Richtlinie für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen aktiviert. Demzufolge dürfen Ukrainer ohne Visum in die EU einreisen, erhalten Schutzstatus, Arbeitserlaubnis und die Zusage des Familiennachzugs ohne Asylverfahren. Hierbei demonstrierten die EU-Staaten eine historisch zu nennende Geschlossenheit. Dies könnte eine Zeitenwende in der EU-Migrationspolitik einleiten, da der Krieg an der eigenen Grenze bei den Visegrad-Staaten zu einer veränderten Wahrnehmung und ungewohnten Aufnahmebereitschaft geführt hat.
Zur Stützung der makro-ökonomischen Stabilität der Ukraine hat die EU überdies ein Soforthilfeprogramm über 1,2 Mrd. € beschlossen – hiervon wurden bereits 300 Mio. € überwiesen, die gleiche Summe soll bis Monatsende folgen – und die Kommission kündigte Anfang März weitere 500 Mio. € zur Bewältigung der humanitären Folgen der Krise an.
Die EU hat die Ukraine in den letzten Jahren bereits umfangreich unterstützt. Seit 2014 haben die EU und europäische Finanzinstitutionen dem Land Finanzhilfen und Darlehen in Höhe von mehr als 17 Mrd. € gewährt.
Historisches Sanktionsprogramm
Das nunmehr vier Pakete umfassende Programm soll die russische Regierung sowie die sie unterstützenden Oligarchen und Unternehmen gezielt unter massiven Druck zu setzen und gravierende wirtschaftliche Folgen bewirken. Hierzu gehören zunächst begrenzte sektorale Handelssanktionen, da der EU-Handel mit Russland außerhalb des Energiesektors gering ist (so betrugen seit 2015 die Exporte ca. 1,5 % des EU-Handels und die Importe etwa 2,5 %). Allerdings konzentrieren sich deren Auswirkungen innerhalb der EU vor allem auf die zentral- und osteuropäischen Mitgliedstaaten. Die Finanzsanktionen dagegen stellen eine historische Dimension dar, so der Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem SWIFT. Ausgenommen sind bislang die für Europa äußerst wichtigen fossilen Energieträger (die EU-Importe aus Russland betrugen bei Öl 25 %, bei Gas 40 % und bei Steinkohle nahezu 45 %). Da die USA lediglich 8 % ihres Ölbedarfs aus Putin Reich beziehen, konnte die Regierung Biden bereits kurzfristig ein Embargo gegen russisches Öl verhängen. Das folgende Diagramm verdeutlicht, dass Deutschland (DE) ebenso wie Ungarn (HU), Slowakei (SK) und Lettland (LV) stark von russischem Gas abhängig sind, weshalb diese Staaten sich auch bislang vehement gegen ein Gasembargo aussprechen. Um die Energieabhängigkeit der EU von Russland zu verringern, hat die EU-Kommission das Programm REPowerEU vorgeschlagen, welches darauf abzielt, die Gasimporte innerhalb eines Jahres um zwei Drittel zu reduzieren und bis spätestens 2030 russische Energielieferungen völlig einzustellen.
Das vierte Sanktionspaket ist breit gestreut und umfasst die folgenden Maßnahmen: (i) vollständiges Verbot jeglicher Transaktionen mit bestimmten russischen Staatsbetrieben – dem militärisch-industriellen Komplex des Kremls, (ii) Einfuhrverbot für bestimmte Stahlerzeugnisse, was für Russland einen Verlust an Exporteinnahmen in Höhe von rund 3,3 Mrd. € bedeutet, (iii) weitreichendes Verbot von Neuinvestitionen im gesamten russischen Energiesektor, ausgenommen die zivile Kernenergie und den Rücktransport bestimmter Energieerzeugnisse in die EU, (iv) Ausfuhrverbot für Luxusgüter (z. B. Luxusautos, Schmuck usw.), das die russische Eliten direkt treffen soll, (v) Erweiterung der Sanktionsliste um Oligarchen und Wirtschaftseliten mit Verbindungen zum Kreml sowie um Unternehmen aus dem Militär- und Verteidigungsbereich, die die Invasion logistisch und materiell unterstützen (incl. in der Desinformation tätige Akteure) (vi) Verbot der Bewertung Russlands und russischer Unternehmen durch EU-Rating-Agenturen und der Erbringung von Rating-Dienstleistungen für russische Kunden, wodurch sie weiter Zugang zu den EU-Finanzmärkten verlieren würden und (vii) gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Welthandelsorganisation WTO Verweigerung des Meistbegünstigungsstatus auf den EU-Märkten.
Unabhängig von den verhängten Sanktionen zeichnen sich seit dem russischen Angriff bereits drastische ökonomische Folgen für die EU ab: so führen die gestiegenen Energiepreise zu einer höheren Inflation in ganz Europa und damit zu Implikationen für das Wachstum sowie für fiskalpolitische Gegenmaßnahmen, allerdings mit unterschiedlichen Auswirkungen innerhalb der Mitgliedstaaten.
Bewertung und Ausblick
Die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen für die EU-27 sind massiv und ungleich verteilt, weshalb die bisherige Geschlossenheit nicht unbedingt von Dauer sein dürfte. So lassen sich derzeit die Makroimplikationen nur schwer abschätzen und die Europäische Zentralbank EZB steht vor der Herausforderung, ihr aktuelles Anleihen-Kaufprogramm auf die im Euro-Raum für 2022 erwartete Inflation von 5,1 % (Stand März) auszurichten. Je nach Dauer der Sanktionen wird ein gewisser Lastenausgleich politisch immer wichtiger. Noch mehr als Corona verändert die russische Aggression die EU-Agenda in vielen Bereichen. So erfährt die Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik neuen Schwung und die EU-Asylreform erhält ungeahnte Impulse. Zudem wird der New Green Deal um eine geopolitische Komponente erweitert und neue Fragen für den künftigen fiskalpolitischen Rahmen der EU zeichnen sich ab.
Übrigens, weniger diplomatisch als die Kommissionspräsidentin zu den Wirkungen der Sanktionen äußerte sich Außenministerin Baerbock bereits Ende Februar: „Das wird Russland ruinieren“.