Streiten – Aber gut vorbereitet!

KONFLIKTE KÖNNEN AUSGANGSPUNKT UND HILFSMITTEL ZU TIEFGREIFENDEN UND HILFREICHEN VERÄNDERUNGEN SEIN.

Prof. Dr. Arnd Schaff

Konflikte sind unvermeidlich – zumindest dort, wo Menschen im Unternehmen aufeinandertreffen und wo Veränderung passieren soll. Sie entstehen aus der Unterschiedlichkeit der beteiligten Personen: Jeder Teilnehmer eines Konfliktes hat möglicherwei¬se andere Eingangsvoraussetzungen für den Kon¬flikt – wie zum Beispiel eine andere Position in der Hierarchie eines Unternehmens, eine andere Historie bezüglich des Streitthemas oder auch abweichen¬de Wertevorstellungen von dem, was „wichtig‘ ist. Auch die Art, einen Konflikt zu führen, ist sehr indi¬viduell: Manche Menschen bevorzugen den offenen Streit und die direkte Konfrontation, andere versuchen eher, die Kontrahenten mit diplomatischen Mitteln zu besänftigen oder auch indirekt zu beeinflussen. Auch der Ausgang eines Konfliktes unterliegt durchaus unterschiedlichen Zielvorstellungen: Manchmal geht es darum, einen echten Weg aus einer dramatischen und möglicherweise fatalen Situation zu finden. Manch­mal scheint es den Konfliktparteien aber auch einfach nur darum zu gehen, zu gewinnen und den Gegner idea-lerweise zu demütigen. Auch das vordergründige Ein­dämmen eines Konfliktes kann ein Ziel sein – ohne eine echte Auflösung des Streitthemas zu erreichen.

Eine gute Voraussetzung für die erfolgreiche Bearbei­tung eines Konfliktes ist deswegen eine ehrliche und ausführliche Vorbereitung darauf, wie die Eingangsbe­dingungen der Konfliktparteien sind, wie der Konflikt geführt werden sollte, und auch, was das Ziel ist – oder auch explizit nicht ist. Abbildung 1 verdeutlicht einige wichtige Fragen dabei.

Zunächst einmal ist wichtig zu definieren, welche (un­terschiedlichen) Interessenlagen die Konfliktbeteilig­ten haben. Dabei ist es wichtig, sowohl ehrlich als auch genau zu sein. Insbesondere langgehegte Abneigun­gen, aber auch Freundschaften können dazu führen, hier zu oberflächlich zu sein und die echten Interessen nicht wahrnehmen zu können oder auch nicht wahr­nehmen zu wollen. Die Empfehlung ist, die Interessen schriftlich und ausführlich festzuhalten und die Mög­lichkeit zu nutzen, einem unbeteiligten Dritten die Inte­ressenlage aller Parteien zu erklären. So lassen sich Un­klarheiten und Unstimmigkeiten leichter identifizieren. Aus der Interessenlage ergeben sich meist die zent­ralen Konfliktthemen auf ganz natürliche Weise, und zwar dort, wo die Parteiinteressen am meisten vonei­nander abweichen. Trotzdem ist es zusätzlich hilfreich, die Konflikte in eine Reihenfolge nach Wichtigkeit zu bringen, entlang der Kernfrage: An welcher Stelle wird die Partei X auf keinen Fall zu Kompromissen bereit sein; und wo ist eine Einigung eher wahrscheinlich? Die Bereitschaft zur Einigung und zu Kompromissen hängt wesentlich von den Erwartungen der Beteiligten ab. Hier ist die Unterscheidung wichtig zwischen dem, was „ideal“ wäre, und dem, was die Parteien wirklich realistisch erwarten. Es kann sein, dass zwischen den beiden Positionen kein Unterschied besteht und eine Seite das „Ideale“ erwartet – dann wird es in der Ausei­nandersetzung schwierig. Es kann aber auch sein, dass bei aller emotionalen Beteiligung trotzdem der Blick für das Machbare erhalten bleibt. Auch hier gilt die Empfeh­lung: Schreiben Sie die Erwartungen der Beteiligten auf; so gut, wie Sie diese Erwartungen nach bestem Wissen und Gewissen einschätzen können. Scheuen Sie sich auch nicht, dazu Stellungnahmen von Dritten einzuho­len, die möglicherweise noch einmal andere Perspekti­ven einbringen können.

Im Unternehmen, und ganz allgemein in Organisatio­nen, spielt die Hierarchie eine erhebliche Rolle im Kon­fliktfall. Auch wenn in der Regel klar ist, welche Position die Beteiligten haben – machen Sie sich diese Stellung in der Organisation noch einmal klar. Aus der Stellung in der Hierarchie resultiert in der Regel eine eigene Sichtweise auf den Konflikt, und es ist wichtig, diese Sichtweise zu verstehen. So haben Mitarbeiter und Führungskräfte, Unternehmensleitung und Betriebs­rat, Eigentümer und Vorstand natürlicherweise andere Perspektiven auf die Auseinandersetzung.

Gute Konfliktvorbereitung ist der Weg zum Erfolg

Ein Konflikt kann mit einer großen Vielfalt an Mitteln ausgetragen werden – weit mehr als nur mit der Konfrontation am Konferenztisch. Das Spektrum reicht von Mitteln der direkten Konfrontation, wie Diskussionen, offener Streit oder Streik, bis hin zu indirekten und zum Teil schwer identifizierbaren Aktionen, wie das Streuen von Gerüchten, die Nutzung des Flurfunks und die Bil­dung von Koalitionen. Letztere sind insbesondere von großer Bedeutung bei verteilten Konflikten mit vielen Beteiligten in unterschiedlichen Bereichen – zum Bei­spiel bei einer Restrukturierung eines Unternehmens oder im Fall einer Unternehmensakquisition. Hier emp­fiehlt es sich, die direkt und indirekt Beteiligten in Form eines Soziogramms aufzuzeichnen und damit sowohl die Richtung als auch die Stärke der Beeinflussung skizzenhaft darzustellen. Ein Beispiel für ein solches Soziogramm eines Konfliktes zeigt Abbildung 2 und stellt damit auch dar, wie komplex oft die Situation der wechselseitigen Beeinflussung sein kann. Trotz oder vielleicht sogar wegen der Komplexität ist die Beschäf­tigung mit ihr wichtig.

Das beginnt damit, den formalen Rahmen für den Konflikt abzustecken, mit Blick auf die eigenen Mög­lichkeiten: Soll die Auseinandersetzung in Problem-lösungs-Workshops stattfinden? Sollen bestehen­de Formate dafür genutzt werden (zum Beispiel Geschäftsführungsrunden)? Soll der Konflikt formal eskaliert und in die Öffentlichkeit getragen werden, mit einem Ausstand oder in der Presse? Oder ist es besser,

eher mit indirekten Mitteln zu agieren; vielleicht auch, weil direkte Mittel aufgrund der Hierarchie oder anderer Hinderungsgründe gar nicht umsetzbar sind?

Auch was die (eigenen) Umgangsformen angeht, ist es hilfreich, vorher einen klaren Rahmen abzustecken. Das betrifft die Schärfe der Argumentation, das Nutzen oder der Abstand von persönlichen Angriffen und die Einhaltung ethischer Standards. Gerade in lang andau­ernden Konflikten ist oft eine Erosion dieser Umgangs­formen zu beobachten. Zu Beginn des Konfliktes war man sich vielleicht noch einig, dass man „vernünftig“ miteinander spricht; aber im Laufe der Zeit, der Ermü­dung und Frustrationen werden die Mittel immer här­ter und ethische Standards erodieren. Dass das nicht hilfreich für die Lösung des Konfliktes ist, ist müßig zu sagen. Im Idealfall ist es möglich, einen gemeinsamen und schriftlichen „Kodex“ für den Umgang miteinander aufzustellen – auf den beide Parteien im Laufe der Aus­einandersetzung verweisen können.

Aus Sicht des Autors können unbeteiligte Dritte im Kon­fliktprozess sehr hilfreich sein – so wie Diplomaten in politischen Verhandlungen oder Mediatoren bei juristi­schen Auseinandersetzungen. Im Fall von Streitigkeiten im Unternehmen kann diese Rolle von Supervisoren, Mediatoren, Kommunikationsexperten oder Change-Management-Beratern wahrgenommen werden. Erheblich wichtiger als die formale Ausbildung ist hier die persön­liche Erfahrung mit Konflikten, eine wirklich neutrale und wertschätzende Haltung sowie die unbedingte Ak­zeptanz beider oder aller Parteien. Ob es dabei um eine Schlichtung, Vermittlung oder Lösungssuche geht – de­finieren die Beteiligten zu Beginn des Prozesses.

Auch die Führung des Konfliktes muss gut vorbereitet sein. Nur auf dieser Basis können gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, im Sinne der persönlichen Zielsetzung im Konflikt.

Was die Zielsetzung des Konfliktes anbetrifft, ist eine wichtige Frage, welche Reichweite die Lösung aus der eigenen Perspektive, aber auch aus Sicht der anderen Beteiligten haben soll: Geht es um eine langfristig trag­bare Lösung, mit der alle Beteiligten leben können? Oder ist das Ziel, zunächst einen Minimalkompromiss zu finden, um das eigentliche Problem später zu lösen oder eine Übergangsphase zu überstehen? Beide Lö­sungsvarianten haben ihre Berechtigung und ihre Rolle.

Neben der inhaltlichen Seite spielt immer die persön­liche Betroffenheit eine entscheidende Rolle. Ein Kon­flikt kann dazu führen, dass aus den beteiligten Par­teien im Laufe des Konfliktes echte Feinde werden, die entsprechend miteinander umgehen. Es kann aber auch genauso gut (und idealerweise) so sein, dass der Konflikt eine Annäherung initiiert und zur Folge hat,

dass die Parteien Gemeinsamkeiten erkennen und sich die Konfrontation in eine fruchtbare Zusammenarbeit und ein positives Verhältnis nach der Konfliktbearbei­tung entwickelt. Wenn die geplante Zielsetzung des Konfliktes in Richtung der zweiten Perspektive geht, sollte das natürlicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Konfliktes haben, zum Bei­spiel bezüglich der ethischen Standards.

Fazit
Mit einer guten Vorbereitung kann es gelingen, die im Unternehmensprozess unvermeidlich auftretenden Konflikte nicht nur „irgendwie“ zu überstehen, sondern als Initialzündung für einen echten Wandlungsprozess zu nutzen und so tiefgreifende Organisationsentwick­lung zu betreiben. In diesem Sinne ist der klare Rat des Autors, eine positive Haltung zu Konflikten zu finden: Konflikte sind nichts, das Sie vermeiden sollten, denn sie bergen das Potential zu echtem Fortschritt.

Über den Autor
Prof. Dr. Arnd Schaff ist Hochschullehrer und For­scher an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management. Seine Schwerpunkte liegen im Change Management, der Beschaffung und Fertigung, dem betrieblichen Gesundheitsmanagement, dem Pro­jektmanagement sowie dem Marketing.


Literatur:
Lauer, T. (2019): Change Management – Grundlagen und Erfolgsfaktoren. Springer Gabler: Wiesbaden
Schaff, A. (2019): Konflikte im Change Management, in: Perspektiven – Zeitschrift für Führungskräfte, Nr. 11. Die Führungskräfte e.V.: Essen
Tries, J. / Reinhardt, R. (2008): Konflikt- und Verhand­lungsmanagement – Konflikte konstruktiv nutzen. Springer: Berlin, Heidelberg
Wellhöfer, P. R. (2018): Gruppendynamik und soziales Lernen: Theorie und Praxis der Arbeit mit Gruppen. UVK, München

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