Immer noch Diskriminierung am Arbeitsplatz
Einigen Beobachter:innen scheint es ein Selbstläufer zu sein: Über die letzten Jahre hinweg schien die Akzeptanz und Toleranz in der Gesellschaft gegenüber LGBTIQ+, das heißt lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen, stetig gewachsen zu sein. Bei genauerer Betrachtung wird etwa mit Blick auf die steigende Zahl von Übergriffen jedoch deutlich: Von echter und gelebter Wertschätzung und Chancengerechtigkeit für LGBTIQ+ Menschen sind wir noch immer weit entfernt. Und das trifft auch auf das berufliche Umfeld vieler LGBTIQ+ zu.
Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie des DIW und der Universität Bielefeld zeigt, dass rund ein Drittel aller LGBTIQ+ Menschen am Arbeitsplatz Diskriminierung erleben. Laut OECD haben LGBTIQ+ Menschen im Schnitt eine 50 % geringere Wahrscheinlichkeit, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Es ist vor diesem Hintergrund wenig überraschend, dass sich viele LGBTIQ+ Menschen nicht trauen, sich am Arbeitsplatz zu ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zu bekennen. Viele von ihnen entschieden sich bewusst dagegen, sich vor ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten zu outen. Einer Studie der Boston Consulting Group folgend sind in Deutschland lediglich 37 % aller LGBTIQ+ bei ihren Kol-leg:innen und Vorgesetzten geoutet. Mehr noch: Rund 22 % betrachten ein Outing als potentielles Karriererisiko. Diese Zahlen sollten uns allen ein Weckruf sein – denn hinter ihnen verbirgt sich, neben belastenden Situationen für die Betroffenen selbst, auch ein Problem für Unternehmen und Führungskräfte selbst.
Es lässt sich nicht mehr bestreiten: Gelebte Vielfalt und ein ernst gemeintes (LGBTIQ+) Diversity Management sind Business-relevant und ein maßgeblicher Erfolgsfaktor! McKinsey untersuchte die Belegschaftszusammensetzung von Unternehmen und damit zusammenhängend deren wirtschaftliche Performance. Das Untersuchungsergebnis zeigt, dass diverse Unternehmen wirtschaftlich im Schnitt bis zu 25 % erfolgreicher sind. Wenn möglichst viele unterschiedliche Stimmen gehört und verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden, entstehen nicht nur ein höheres Innovations-potenzial, sondern eben auch wirtschaftliche Vorteile für Unternehmen. Des Weiteren sind (LGBTIQ+) Diversity Management und eine wertschätzende Unternehmenskultur immer mehr ein ausschlaggebendes Argument für Talente und potentielle neue Mitarbeitende auf deren Suche nach einem passenden Arbeitgeber. Der genannten Studie der Boston Consulting Group folgend ist für LGBTIQ+ Menschen in Deutschland bei der Jobsuche wichtiger, ob ihr neuer Arbeitgeber LGBTIQ+ freundlich ist, als ihr Gehalt. Im Wettbewerb um die besten Köpfe und deren Bindung führt demnach kein Weg mehr an einem ernstgemeinten und aufrichtigen (LGBTIQ+) Diversity Management vorbei.
Wie kann dies nun gelingen und was können erste Schritte zu echter Wertschätzung und Chancengerechtigkeit für LGBTIQ+ Menschen und in der Folge jede:n einzelne:n Mitarbeiter:in sein? Wichtig ist zunächst, dass die Führungskräfte und das Management das Thema auf die Agenda setzen und zu einer Priorität machen, die über bloße Lippenbekenntnisse hinausgeht. Dazu zählt etwa ein klares Bekenntnis zu Diversity und Offenheit, das Etablieren von Ansprech-personen im Unternehmen, an die LGBTIQ+ sich für Anliegen und bei Diskriminierungserfahrungen wenden können. Führungskräfte und Entscheidungsträ-ger:innen haben eine Verantwortung, sowohl für ihre Mitarbeitenden als auch für das Unternehmen und den Erfolg desselben. Vor diesem Hintergrund liegt der Ball beim Thema Diversity auch und besonders bei ihnen. Der Mehrwert liegt auf dem Tisch, denn gelebte Wertschätzung und Chancengerechtigkeit für LGBTIQ+, Frauen, Menschen mit Migrationsbiographie und anderen unterrepräsentierten Gruppen ist am Ende gut für alle – und eben auch für den weißen, heterosexuellen Mann.