Der demografische Wandel ist in seinen Auswirkungen schmerzhaft spürbar: seit zwei Jahrzehnten ist der Fach- und Führungskräftemangel ein wichtiges Thema in den allermeisten Unternehmen. Vor allem viele kleine und mittlere Betriebe leiden unter einem immer geringer werdenden Zustrom an qualifizierten Bewerbern, die oft eher zu den namhaften Großunternehmen streben.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos sagte 2019 in seiner Studie „Arbeitslandschaft 2025“ voraus, dass schon im Jahr 2025 2,9 Mio. Fachkräfte in Deutschland fehlen werden, und diese Lücke bis 2031 auf 3,6 Mio. anwachsen wird. Grundlage dieser Analyse waren einerseits die demografischen Daten zur Bevölkerungsentwicklung und andererseits Annahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung und dem Konsumverhalten.
Während der Corona-Krise hat der Stellenwert des Fachkräftemangels in der Risikoeinschätzung der Unternehmen leicht nachgelassen. Zum Jahresbeginn 2020 nannten die Befragten in der DIHK-Konjunkturumfrage „Fachkräftemangel“ noch an erster Stelle. Erst danach rangierten die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und die Inlands- und Auslandsnachfrage. Im Herbst 2020 hatte sich das Bild dann gewandelt, und der Personalmangel nahm Platz 4 ein. Es ist davon auszugehen, dass diese Veränderung nur temporär ist, denn in der Umfrage zum Frühsommer 2021 hat der Fachkräftemangel schon wieder den dritten Platz eingenommen, mit stark ansteigender Tendenz. Sobald sich die Wirtschaft im In- und Ausland von den Folgen der Corona-Krise erholt haben wird, steht die Bindung von neuem Personal sowie die Sicherung der vorhandenen Arbeitskräfte wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Es lohnt sich ein Blick auf die demografischen Grunddaten, um ein Gefühl für die Brisanz der Lage zu entwickeln.
Die Entwicklung der deutschen Bevölkerung im Alterauf Basis der letzten Bevölkerungsvorausberechnung des statistischen Bundesamtes dar (2019, Szenario V2). Ausgehend vom Basisjahr 2000 nimmt die Anzahl der Menschen in der Altersspanne zwischen 18 und 67 Jahren (d.h. im Arbeitsalter) bis 2040 um ca. 7,5 Mio. Menschen ab, die dem Arbeitsmarkt dann nicht mehr zur Verfügung stehen.
Bis zum Endzeitpunkt der Betrachtung in 2040 werden gegenüber dem Basisjahr etwa 11% weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, wobei die Abnahme insbesondere bis zur Mitte der dreißiger Jahre besonders stark ist.
Auch der retrospektive Blick ist interessant, denn er zeigt, um wie viel stärker der kommende Verlust an Arbeitskraft im Vergleich zu dem sein wird, was wir heute schon für ein erhebliches Problem halten. Die Abnahme zwischen 2000 und 2021 betrug lediglich ca. 1,7 Mio. Menschen, im Gegensatz zu den zusätzlichen 5,8 Mio. bis Ende 2040.
Seit vielen Jahren ist die (Über-)Alterung der Belegschaften in aller Munde. Die krankheitsbedingten Ausfallzeiten nehmen mit steigendem Lebensalter zu, wie die Statistiken der Krankenkassen zeigen. Gleichzeitig möchte eine große Anzahl älterer Beschäftigter ein Vorruhestandsangebot annehmen, und steht damit nicht mehr für die Erwerbsarbeit zur Verfügung. Um die Frage zu beantworten, wie relevant dieses Problem heute ist, muss man sich die Entwicklung in der Altersgruppe von 55+ bis 67 Jahren anschauen. Dargestellt ist der prozentuale Anteil dieser Altersgruppe an der Gesamtheit der Menschen zwischen 18 und 67 Jahren.
Nach einem deutlichen Anstieg auf 28 % aller Menschen im Arbeitsalter ist, ausgehend von 2021, nur noch ein kleiner weiterer Anstieg bis 2026 zu erwarten. Gegen Mitte bis Ende der 2030´er Jahre sinkt der Anteil wieder auf etwa 25% ab. Der Anteil dieser Altersgruppe im Unternehmen ist etwas kleiner als in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung, weil die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsquote ab dem 63´sten Lebensjahr ganz deutlich zurückgeht.
Das heute spürbare demografische Problem und seine Auswirkungen werden uns also nicht nur weiter beschäftigen, sondern noch deutlich an Schärfe zunehmen. Wegschauen und Durchhalten können für kein Unternehmen mehr denkbare Perspektiven sein. Nur mit zielgerichteten Maßnahmen kann es gelingen, diese Herausforderung zu meistern. Folgende vier Aufgaben können dabei helfen:
- Realistische Planungsgrundlage schaffen: auf Basis der gesamtgesellschaftlichen Daten ist klar, dass jedes Unternehmen einem grundsätzlichen Problem gegenübersteht. Aber wie groß das Problem genau ist, wann es eintritt und wie sich die Situation konkret ändern wird, kann nur durch eine unternehmensspezifische Planungsrechnung ermittelt werden. Hier ist das Controlling zusammen mit der Personalabteilung und dem Risikomanagement gefragt, um die Entwicklung des Personalstamms mit allen Effekten (wie Austritte, (Vor-)Ruhestand, Rekrutierung und krankheitsbedingten Minderungen der Arbeitsfähigkeit) mit der umsatzbasierten Bedarfsplanung abzugleichen. Erst dann wird eine mögliche Unterdeckung sichtbar und kann mit Maßnahmen ausgeglichen werden.
- Arbeitsfähigkeit im Alter absichern: Jeder vermiedene Verlust an Arbeitsfähigkeit hilft bei der Erfüllung des identifizierten Personalbedarfs. Insbesondere vor dem Hintergrund des großen Anteils älterer Beschäftigter im Unternehmen, mit typischerweise reduzierter Arbeitsfähigkeit, ist der größte Hebel klar: die Arbeitsfähigkeit der ältesten Beschäftigungsgruppe muss deutlich stärker in den Fokus gerückt werden. Das bedeutet, altersspezifische Maßnahmen konsequent umzusetzen, aber auch bereits im mittleren Beschäftigungsalter die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Auch die Motivation zur Arbeit im Alter spielt hier eine wichtige Rolle, neben der Gesundheit. So kann und muss es gelingen, die in den letzten 10-15 Beschäftigungsjahren vor dem 67´ten Lebensjahr deutlich absinkende Beschäftigungsquote wieder zu erhöhen.
- Neue Beschäftigungspotentiale heben: Neben der Optimierung des vorhandenen Personalpotentials ist der zweite große Verbesserungshebel, heute gar nicht oder nicht optimal angesprochene potentielle Bewerberkreise zu erreichen. Das meint zum einen Verbesserungen im Employer Branding (vor allem bei Image und Bekanntheit), aber auch die konsequente Ansprache von Personengruppen, die heute noch unterdurchschnittlich in Arbeit sind: Erhöhung des Frauenanteils, Erleichterung des Wiedereinstiegs nach Arbeitspausen, Ermöglichung von Sabbaticals, Weiterbildungsprogramme für unterqualifizierte Bewerber.
- Automatisierung und Globalisierung nutzen: Neben dem Auf- und Ausbau des Personalstamms bietet die Digitalisierung und Virtualisierung einen potentiellen Ausweg aus den Engpässen des demografischen Wandels. Es ist heute noch unklar, welchen Anteil an der heutigen Erwerbsarbeit fortgeschrittene Technologien in einigen Jahren übernehmen können und werden. Sicher wird diese Entwicklung, genau wie das Outsourcing in Regionen mit einer anderen demografischen Situation, Erleichterung bieten – aber nur darauf zu setzen und keine der anderen Maßnahmen zu verfolgen, wäre sicher ein zu risikoreicher Ansatz.
Fazit
Der demografische Wandel ist in 2021 noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung. Vielmehr stehen den Unternehmen die größten Veränderungen noch bevor, was das Ausscheiden von Menschen im arbeitsfähigen Alter angeht. Nur wenn es gelingt, diesen Verlust an Arbeitskraft auszugleichen oder zu verhindern, kann die Ertragskraft im Unternehmen erhalten werden. Aus diesem Grund tut jedes Unternehmen gut daran, ein geeignetes Risikomanagement aufzubauen, unter anderem mit den oben beschriebenen Ansätzen.
Alice Greschkow