Homeoffice für immer und alle?

Eine These – Sechs Meinungen

Schon vor der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zeichnete sich in vielen Unternehmen der Trend zum mobilen Arbeiten ab. Und die Lockdowns haben gezeigt: Einzelpersonen, Teams und ganze Unter­nehmen erbringen auch dann gute Leistungen, wenn sie geografisch voneinander getrennt sind. Sind Unternehmen, die überwiegend oder gar vollständig mobiles Arbeiten ermöglichen, die Zukunft der Wissensarbeit? Ist diese Art der Zusammenarbeit eine Dauerlösung?

Die These:
Mobiles Arbeiten bietet Unternehmen und Mitarbeiten­den deutliche Vorteile. Unternehmen reduzieren ihre Kosten und finden die besten Talente. Mitarbeitende können an ihrem Wunschort leben, auch steigert Re-mote Work ihre Produktivität.

Anna Yona, Founder & Company Lead Wildling Shoes GmbH

Anna Yona, Founder & Company Lead Wildling Shoes GmbH
Bei Wildling arbeiten wir seit der Gründung 2015 remote – mittlerweile mit einem Team von 200 Mitarbeitenden. Diese Art der Zusammenarbeit hat uns dazu angehal­ten, von Anfang an klare Strukturen zu schaffen, damit alle – auch örtlich voneinander getrennt – an einem Strang ziehen können. Durch einen ergebnisorientier­ten Ansatz leben wir eine produktive Arbeitskultur, die auf Vertrauen basiert und unserem Team viel Freiheit und Flexibilität ermöglicht. Das ist nicht nur Grundlage für Vereinbarkeit, sondern auch etwas, das gerade jün­gere Bewerberinnen und Bewerber immer häufiger ein­fordern. Auch hat uns als wachsendes Unternehmen die dezentrale Arbeitsweise die ständige Suche nach neuen Büroflächen erspart und uns gleichzeitig ermöglicht, in ganz Deutschland die besten Teammitglieder zu finden.

Uwe Rühl, Geschäftsführer der Rucon Group

Uwe Rühl, Geschäftsführer der Rucon Group
Möchten Unternehmen wirklich etwas voranbringen, brauchen sie den intensiven persönlichen Kontakt mit ihren Mitarbeitenden. Dass das 2020 gefehlt hat, haben wir deutlich gespürt – obwohl wir mobiles Arbeiten schon länger gewohnt sind. Fehlen Emotionen, die Mitarbeiten­de mit ihrem Arbeitgeber verbinden, ist auch ihre Bindung zum Unternehmen schwächer. Damit diese emotionale Energie überhaupt entstehen kann, brauchen wir aber die persönlichen Begegnungen. Ich sehe perspektivisch da­her ein Sowohl-als-auch. Denn die Flexibilität von Remote Work auf allen Seiten – auch was Familie, Klimaschutz und mehr angeht – möchten wir nicht missen. Besondere Auf­merksamkeit benötigt dabei allerdings die Daten- und In­formationssicherheit; auch sollten wir im Auge behalten, was mobiles Arbeiten mit dem Wohnungsmarkt macht.

Viola K. Kraus, Future of Work Psychologist und Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung (DGfK)

Viola K. Kraus, Future of Work Psychologist und Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung (DGfK)
Ob Selbst-Management, Umgang mit der Isolation oder das Abschalten nach getaner Arbeit: Bei allen Vorteilen bringt das Homeoffice vor allem für Angestellte auch viele Herausforderungen mit sich. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen Technologien und moderierte Plattformen bereitstellen, um Mitarbeitende einzubinden und den Austausch virtuell so gut es geht zu unterstützen. Darüber hinaus müssen Kompetenzlücken zum Thema Selbst-Management, Selbst-Fürsorge und effektives virtuelles Arbeiten abgefragt sowie pragmatische Angebote – zum Beispiel regelmäßige, wöchentliche Lerneinheiten – zum Kompetenzaufbau gemacht werden. So können Arbeit­geber mit gezielten Maßnahmen die Produktivität ihrer Mitarbeiter im Homeoffice fördern, denn ein Remote-Kon-zept allein wird auf Dauer nicht ausreichen.

Dr. Carl Naughton, Wirtschaftspsychologe und Gesellschafter bei Braincheck

Dr. Carl Naughton, Wirtschaftspsychologe und Gesell­schafter bei Braincheck
Menschen sind eine soziale Spezies. Deshalb gibt es einen Grund, warum in Befragungen Singles und Men­schen mit höherem Lebensalter zurück ins Büro drän­gen: Den ersten fällt die Decke auf den Kopf oder es fehlt die Chance, persönliche Kontakte aufzubauen. Den zweiten ist die Welt der Führung und Leistung auf Distanz vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungsjahrzehn­te im Büro schlicht suspekt. Deshalb muss sozialer Kontakt bei der Organisation der Arbeit immer mit be­dacht werden. Er wirkt bei Entscheidungs- und Kreativ-prozessen und beeinflusst die Qualität der Ergebnisse. Mobiles Arbeiten kann aber nur ein dauerhafter Teil der Zukunft werden, wenn Menschen die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen, selbstorganisierten Arbeiten mitbringen. Manchen fehlt das im Kern. Das ist sogar mess- und vorhersagbar mit der AWOS – der autono-mous working scale. Daher macht die Mischung den Erfolg und sehe ich in der Flexiwork die Zukunft – und weniger in der einen oder anderen Art zu arbeiten.

Dr. Dewi Schönbeck

Dr. Dewi Schönbeck, Workplace Design & Consulting Director EMEA Steelcase
Mobiles Arbeiten bringt definitiv Vorteile. Unsere aktu­elle Studie zu Bedürfnissen der Arbeitnehmer zeigt je­doch auch, dass 98 % das Büro weiterhin als wichtigen Arbeitsort sehen. Denn im Homeoffice fehlen den meis­ten die direkten persönlichen Interaktionen, die vor al­lem ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln; und auch das berufliche Netzwerk verkleinert sich. Daher erwarten Mitarbeitende künftig mehr Kontrolle und Flexibilität da­rüber, wie und wo sie arbeiten. Wir bei Steelcase sehen deshalb ein hybrides Modell als Zukunft der Arbeit und empfehlen fortschrittlichen Unternehmen, ein „Ökosys­tem an Orten“ zu erschaffen, das den Arbeitsplatz um flexible Optionen im Büro sowie durch das Homeoffice und mögliche zusätzliche „Satelliten-Arbeitsorte“ er­gänzt. Das Büro als Ort des Austauschs bleibt dabei un­verzichtbar zur Ausbildung einer Unternehmenskultur und als Antrieb von Produktivität und Innovation.

Anna Sophie Herken, Business Division Head Allianz Asset Management GmbH

Anna Sophie Herken, Business Division Head Allianz Asset Management GmbH
Mobiles Arbeiten beschleunigt den digitalen und kultu­rellen Wandel, hilft, Talente zu gewinnen und CO2-Emis-sionen zu reduzieren. Es ist für uns alle ein Gewinn und beschleunigt nötige Transformationen. 2020 hat ver­krustete Strukturen gelöst – großartig, wie schnell wir das alles hinbekommen haben! Und endlich lenken wir den Fokus auf Output statt Officepräsenz. Unsere Mit­arbeitenden sind zufriedener und gewinnen Zeit. Ich persönlich genieße es zum Beispiel, auch mal gemein­sam mit meinen Kindern Mittag essen zu können. Wir müssen allerdings auch zeigen, dass wir mobiles Arbei­ten nicht nur als Work-Life-Thema sehen, sondern auch als elementaren Baustein einer leistungsorientierten Kultur. Weil wir als soziale Wesen jedoch auch das Mit­einander brauchen, müssen wir das Beste aus Homeof­fice und Büro kombinieren. Daher freue ich mich schon sehr darauf, endlich mal wieder mit meinen Kolleginnen und Kollegen in aller Welt zusammenzusitzen und ge­meinsam zu lachen.

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