Zum Unterschied zwischen Fußball und Unternehmen

Schwerpunkt Fußball

von Dr. Irina Kummert

Dr. Irina Kummert © Kummert

„Ich habe versucht, den Spielern das Gefühl zu geben, dass sie Fehler machen dürfen. Das haben sie bis auf wenige Ausnahmen gut gemacht.“ (Rudi Völler)
Wenn es um Fußball geht, gibt es unzählige Experten. Unter jedem Dach steht mindestens ein Fernsehsessel, auf dem mindestens ein intimer Kenner der Materie sitzt, der vollkommen frei von Selbstzweifeln und sich seines Urteils bezogen auf ein Spiel, auf die Spieler, den Trainer und den Schiri absolut sicher ist. Dabei ist nur subjektiv betrachtet der unverstellte, klare Blick der Vater des Urteils über Spiele, Personen und Vereine. Es sind vielmehr Emotionen, wenn auch bei Profis untermauert durch jahrzehntelange Praxiserfahrung und Kenntnis der Fußballwelt, die bei Sport1 an Sonntagvormittagen in der Sendung Doppelpass oder an Samstagabenden in der Sportschau beim ZDF den Stoff liefern, aus dem die Helden oder eben die Verlierer sind.

Im Fußball wird klar Stellung bezogen – auch gegen den Strich

Dabei scheint es zu jedem (!) Thema unausweichlich mindestens (!) zwei Meinungen zu geben, die einander mehr oder weniger unerbittlich gegenüberstehen. In der Diskussion darüber nimmt jeder Protagonist für sich in Anspruch, recht zu haben. Ich glaube, ich habe noch nie gehört, dass einer zum anderen sagt: „Du hast recht, das war kein Handspiel“, und das einfach mal so stehen lässt – ohne das zuvor generös gemachte Zugeständnis durch wolkige Ausführungen wieder in Luft aufzulösen.

3 € ins Phrasenschwein beim „Doppelpass“
©-SPORT1_Schaerdel

Im Unternehmenskontext klingt im Vergleich manches mitunter weichgespült und sorgfältig darauf bedacht, möglichst Wenigen auf die Füße zu treten. Demgegenüber scheint bei Expertengesprächen im Fußball niemand Interesse daran zu haben, konsensorientiert zu sein oder es für nötig zu halten, so zu tun, als sei er es. Tatsächlich besteht keine erkennbare Bereitschaft, Argumente auszutauschen, um dabei eventuell seinen eigenen zugunsten des besser begründeten Standpunktes aufzugeben. Es werden lediglich unterschiedliche Positionen adressiert. Jeder sagt, was er für richtig oder für falsch hält, und wenn die sachlichen Argumente ausgehen, muss eben ein Fußballbonmot herhalten. Daraufhin werden 3 € ins Phrasenschwein eingezahlt, wovon ein soziales Projekt profitiert – und das ist auch wieder in Ordnung. Zwischendurch erinnern sich alle an gemeinsame Fußballerlebnisse, und am Schluss trinken sie zusammen ein alkoholfreies Hefeweizen.

Ein gutes Beispiel für diese, nennen wir es neutral Meinungsbalance ist der Videobeweis. Die einen sind sicher, der Videobeweis würde zumindest eine Chance bedeuten, den Fußball von menschlichen Fehlentscheidungen zu befreien. Die anderen vertreten im Brustton der Überzeugung die Auffassung, Fehlentscheidungen seien das Salz in der Fußballsuppe. Bitte stellen Sie sich insbesondere das Argument mit den Fehlentscheidungen in unseren Managementetagen vor – das würde mit ziemlicher Sicherheit nicht vorkommen.

Im Fußball gibt es mehr „Typen“ als in unseren Managementetagen

Unzählige Male habe ich Sendungen wie die Sportschau oder Doppelpass verfolgt und mich gefragt: „Und jetzt? Was ist das Ergebnis?“ Irgendwann habe ich eingesehen: Es gibt keins. Alle geäußerten Meinungen bleiben als solche nebeneinander stehen. Diese besondere Form der Großzügigkeit selbst gegenüber einer diametral entgegengesetzten Auffassung, wenn auch bei gleichzeitiger Unbeweglichkeit bezogen auf die eigene Position, ist nicht nur dann, wenn es um moralisches Dafürhalten in gesellschaftlichen Debatten geht, sondern auch im Unternehmenskontext nicht, vielleicht nicht mehr, anzutreffen.

Dass dem so ist, könnte etwas damit zu tun haben, dass die charismatische, kantige Unternehmerpersönlichkeit in unseren Führungsetagen dem eher konsensorientierten Manager Platz gemacht hat. Geradezu ein Antipode dazu ist Uli Hoeneß, der unbestritten als Person und Steuerzahler polarisiert, aber genauso unbestritten über 30 Jahre für seinen Verein lebt und das vermutlich weiterhin tun wird. Er rief im November letzten Jahres während der Sendung beim Doppelpass an, um öffentlich und mit ziemlich deutlichen Worten seinen Sportdirektor Hasan Salihamidzic gegen die in der Sendung geäußerte Kritik zu verteidigen – bitte versuchen Sie auch hier einmal, sich Vergleichbares bei einem Aufsichtsratsvorsitzenden oder einem Vorstand eines DAX-Unternehmens vorzustellen, nachdem dessen Führungsriege im Rahmen einer Talkshow angegriffen wurde.

Persönlichkeiten wie Zinédine Zidane oder Jürgen Klopp, von denen man halten mag, was man möchte, bewegen die Massen. Wer fällt Ihnen auf Unternehmensebene sofort dazu ein?

Emotionen und Identifikation sind beim Fußball ein wesentlicher Treiber

Ein Schlüssel sind beim Fußball definitiv Emotionen und eine nahezu grenzenlose Identifikation mit dem eigenen Verein. Lange Schlangen vor den Apple Stores, die heiß erwarteten Keynotes mit den Neuerungen und eine entsprechend eingeschworene Mac-Nutzer-Community belegen, dass Emotionen und die Identifikation mit einer Marke grundsätzlich ein Riesentreiber für ein Businessmodell sind. Das gilt offenbar selbst dann, wenn die Preise horrend sind und regelmäßig festgestellt wird, dass seitens des Apple-Konzerns kein Cent Steuern in Deutschland liegen bleibt.

In unseren Chefetagen werden Modelle, bei denen die Belegschaft sich die Führungskraft aussucht, der sie folgen möchte, derzeit noch belächelt. Nicht selten ist das so, weil eine solche Praxis nicht fundiert genug sei, sondern auf eher emotionalem Fundament ohne die nötige Distanz zu basieren scheint. Im Fußball ziehen derartige Argumente nicht. Erfolgreiche Trainerpersönlichkeiten wie Niko Kowač und Carlo Angelotti, beide ehemals beim Bundesligisten Bayern München unter Vertrag, sind dafür prominente Beispiele. Die Spieler des Vereins machen deutlich, wenn sie genug haben, indem sie dem Trainer ihre Gefolgschaft verweigern respektive ihn offen kritisieren und letztlich zu Fall bringen. Ob das im Wortsinne als Ausdruck von demokratischen Strukturen, in denen nicht mehr hierarchisch agiert, sondern mitbestimmt wird, durchgeht, sei dahingestellt. Unabhängig davon kann man auch der Auffassung sein, dass so etwas auch im Fußball nur beim FC Bayern möglich ist. Es mag sein, dass das stimmt. Ob es so bleibt?

Am 9. Februar 2020 im Rahmen der Sendung Doppelpass auf Sport1 monierte Klaus Bergmann von dpa, Jürgen Klinsmann, ehemals Hertha-Coach, sei kein Trainer, er sei Manager (was Stefan Effenberg dazu bewog festzustellen, Klinsmann habe schließlich eine Trainerlizenz). Unabhängig davon, ob Klinsmanns Abgang beim Hauptstadtclub eines Trainers würdig war oder nicht, macht der Artikel von Oliver Fritsch aus der Zeit online vom 28.2.2020 nachdenklich. Darin heißt es: „Die Zeugnisse (über den Zustand des Hauptstadt-Clubs) sind in einem Ton verfasst, als wäre Klinsmann kein Trainer, sondern würde für Deloitte den Enterprise Value der Hertha für den Börsengang berechnen.“ Gelegentlich schaut sich der Fußball also auch etwas bei den Unternehmen ab … 

Kontakt: irina.kummert@ikp-gmbh.net

Über die Autorin

Dr. Irina Kummert, Geschäftsführerin der IKP Executive Search, rekrutiert seit 1997 bundesweit Führungskräfte. Sie ist seit 2013 Präsidentin des Ethikverbands der deutschen Wirtschaft e.V. und seit September 2019 Mitglied der fünfköpfigen Ethikkommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

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