Kunst für Keinen

Der Berufsalltag von Kunstschaffenden unter dem NS-Regime.

Die RG Mitte erkundete im Rahmen einer privaten Gruppenführung die Ausstellung KUNST FÜR KEINEN in Frankfurt. Ein gut gewählter Ausstellungsname, reflektiert er bereits das Kernthema der Ausstellung. Wir sehen Kunst, die in den Kriegsjahren 1933 bis 1945 entstand und die KEINER sehen wollte oder sollte. Sei es, weil sie mutmaßlich „aus der Norm fiel“, zu gesellschafts- oder systemkritisch war oder von einem – aufgrund Herkunft, Religion oder politischer Einstellung – denunzierten Künstler erstellt wurde.

Edmund Kesting, Trümmerstätte an der Dresdner Frauenkirche

„Adolf Hitler wollte keine „Moderne“ (Kunst) haben“, erklärt uns Kunstvermittlerin Kalliope Noll zu Beginn der Führung. Mit der im September 1933 gegründeten Reichskulturkammer lernen wir zudem ein zentrales Instrument für die Gleichschaltung der Kultur kennen, deren Präsident Joseph Goebbels war. Paragraph 1 des Reichskulturkammergesetzes ermächtigte ihn, „die Angehörigen der Tätigkeitszweige, die seinen Aufgabenkreis betreffen, in Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammenzufassen“; Paragraph 2 regelte die Errichtung von Reichskammern, denen Berufsverbände untergliedert waren. Kulturschaffende mussten einer der Kammern angehören, um weiterhin arbeiten zu dürfen, nur um nachfolgend – entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie – gefördert, geduldet oder „ausgemustert“ zu werden. Galerien und Verlage wurden verboten oder der NS-Ideologie unterworfen, finanzielle Zuschüsse gestrichen, Berufsund Veröffentlichungsverbote erteilt.

Wie gingen Kunstschaffende mit dieser neuen Situation um? Viele von ihnen flüchteten vor den staatlichen Rezressalien in die Emigration. Welche Handlungsspielräume und Strategien diejenigen nutzen, die in Deutschland blieben, zeigt die Überblicksausstellung anhand 14 ausgewählte Künstlerbiografien und etwa 140 Werken.

Bereits in Raum 1 der Ausstellung stehen wir dem Gemälde „Sterbender Krieger (Junger Soldat im Frontfeuer)“ von Jeanne Mammen gegenüber, gleichsam Motiv der Ausstellung. Mit harter, an den kubistischen Stil angelehnter Formensprache und im Kampf von hitzigen Rot- und kühlen Blau-/Weißtönen ist das Gemälde energiegeladenes Sinnbild seiner Zeit. Jeanne Mammen – eine seinerseits anerkannte Künstlerin und Gebrauchsgrafikerin, die Illustrationen für den Simplicissimus schuf und erfolgreich ausstellte – malte dieses Gemälde in einer Zeit, in der zwei ihrer Neffen an der Front starben, und thematisiert damit deutlich Krieg und Elend in ihrem Werk. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endet ihre Karriere vorerst, mit Gelegenheitsarbeiten sichert sie fortan ihre Existenz. So bemalt sie Handpuppen und hat aufgrund einer Feuerausbildung einen kleinen „Alibi-Job“ in ihrer Wohngemeinschaft, weiß Frau Noll zu berichten. In ihrer Kunst experimentiert sie weiter. Nach einem Besuch der Pariser Weltausstellung in 1937 und inspiriert durch das Werk von Pablo Picasso werden ihre Arbeiten zunehmend abstrakt. In Einklang mit dem damaligen Interesse an der Kultur der Naturvölker – insbesondere aber dem Materialmangel
geschuldet – entstehen zudem einfache Skulpturen aus ungebranntem Ton, Gips oder wie bei „Teufel“ (1945) aus bemalter Wellpappe. Ihr Werk bleibt dabei kritisch. In „Wolf“, einer Blei- und Buntstiftzeichnung auf Zeitungspapier fletscht das namentlich genannte Tier als Metapher und im Kopfprofil unmissverständlich die Zähne. Der gewählte Bildträger, eine Zeitungsseite, die den deutschen Aktienmarkt vermerkt, weist auf die Kunstverkäufe ins Ausland hin.

Lea Grundig, Unterm Hakenkreuz

Revolutionär und kritisch in ihrem Werk – und damit angreifbar für die Nationalsozialisten – waren auch Künstler wie Lea und Hans Grundig oder Werner Heldt. Lea und Hans Grundig standen als Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Dresdner Assoziation revolutionärer bildender Künstler unter Beobachtung und erlitten beide mehrfach Repressalien durch das NS-Regime. Die Jüdin Lea Grundig beschäftigt sich, wie ihr Mann, mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten und den erlebten Veränderungen im Alltag. Es entstehen Kaltnadelradierungen mit Titeln wie „Gefangen I“ (1935) oder „Gestapo im Haus“ (1936) aus dem Zyklus „Unterm Hakenkreuz“, die Motive wie Verfolgung, Ausgrenzung, Angst vor Denunzierung und Gefangenschaft beleuchten. 1933 erwirbt Hans Grundig eine Druckerpresse, die ihn befähigt, selbständig grafische Arbeiten zu drucken. In der Kaltnadelradierung „Spitzel“ (1935) aus der Folge „Tiere und Menschen“ hält er die beklemmende Lage fest: An der Stirnfront eines aus dem rechten unteren Bildausschnitt angerissenen Holztisches sitzt eine dubiose Gestalt, die sich lesend hinter einer „Anzeiger“-Zeitung verbirgt. Die Zeichnung wird dominiert von dem rechten Ohr der Person, dass als riesiges, trichterförmiges Organ hervorragt und in den Raum lauscht. In der oberen linken Ecke zudem die deutliche Warnung „ACHTUNG“. Als stilistisches Mittel nutzt Grundig gern die Tierfabel. In dem Gemälde „Kampf der Bären und Wölfe“ von 1938 verhandelt er den Kampf des Kommunismus in Form eines aufrecht stehenden Bären vor rotem Hintergrund und des Nationalsozialismus, die ihn umzingelnden Wölfe (in scharfen Grüntönen gehalten). Die Situation – bedrohlich. Werner Heldt zeichnet zwischen 1933 und 1935 „Meeting (Aufmarsch der Nullen)“ mit Kohle auf Büttenpapier und thematisiert damit das Phänomen der Masse und die von ihr ausgehende Bedrohung. In seiner Kohlezeichnung „Der Anführer“ (1935) gibt Heldt einer Person der Masse ein bedrohliches Gesicht und lässt sie bildeinnehmend einen Fenstersims erklimmen. Die Person schaut das Gegenüber, den Künstler, an; bedrängt ihn. Heldt malte seine Bilder oft als Fensterblick aus dem ersten Stock der Wohnung, informiert Frau Noll. Aus heutiger Perspektive findet das Blatt einen erschreckend aktuellen Bezug, denkt man an den Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C. letzten Jahres. Personen sammeln sich als Masse, bis der erste Eindringling in der Tür steht und die Gefahr real wird.

Kunstschaffende wie Willi Baumeister und Otto Dix zogen sich aus dem öffentlichen Leben zurück und unterwarfen ihr Werk einer inhaltlichen Anpassung: Baumeister, Lehramtsinhaber an der Kunstgewerbeschule Frankfurt und ein etablierter Künstler mit Förderern, Käufern und gutem Netzwerk verliert 1933 sein Lehramt und verdingt sich fortan mit Gebrauchsgrafiken und ab 1937 in einer Anstellung im Labor der Lackfabrik Dr. Kurt Herberts. 1943 zieht er mit seiner Familie auf die Schwäbische Alb. Es entstehen Zeichnungen mit Bezug zu historischen Texten oder universelle Themen. Die NS-Kunstpolitik mit der ihr unterworfenen Ästhetik kommentiert er spöttelnd im privaten Raum, etwa, als er 1941 eine Reihe von Postkarten mit Abbildungen von Gemälden des linientreuen Adolf Ziegler auf ironische Weise bearbeitet und handschriftlich notiert „Mann mit Spitzbart, von Göbbels prämiert, von Hitler gekauft“. Auch Otto Dix zieht sich nach seiner Entlassung aus dem Lehramt an der Dresdner Akademie in 1933 zurück und 1936 nahe des Bodensees. Trotz Diffamierung und Diskreditierung – ein Großteil seines Konvoluts wird im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt – bleibt er Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste, stellt in geringem Umfang aus, fertigt Auftragsarbeiten. Mit der Zensur wird der Inhalt seiner Werke angepasster. Zeigten seine Werke während der Weimarer Republik sozialkritische Abbildungen, dominieren nun Landschaften die Motivwahl und sichern die Existenz. Dass auch er die neue Lebensrealität reflektiert, belegen trübe Bildstimmungen wie in dem Gemälde „Düstere Landschaft“ (1940), das in dunkler Gewitterstimmung eine dramatischerhabene Natur im Sinne der Malerei der deutschen Romantik zeigt.

Einen Rückzug in die Natur – dem sich stets Erneuernden, wählt Fritz Winter. Ein junger Künstler, dessen vielversprechende Karriere ab 1933 stockt. Winter ist Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste, hat aber kaum Möglichkeiten auszustellen. Er arbeitet mit Licht und Dunkelheit im Raum und findet ideologischen Halt und (tröstenden) Sinn in den Kräften der Natur. Nach Einzug in den Militärdienst in 1939 fertigt er an der Front eine Reihe kleinformatiger Zeichnungen, die nicht Not und Grauen des Kriegsalltags zeigen, sondern Naturformen. Im Fronturlaub 1943/44 entsteht seine Werkserie „Triebkräfte der Erde“.

Ausstellungsansicht, Karl Hofer, Alarm/Turmbläser

Edmund Kesting verlagert sein Werk auf ein anderes Medium und konzentriert sich in den Kriegsjahren auf die Fotografie. Durch öffentliche Aufträge wie Werbeaufnahmen und Dokumentationen kann er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Die Serie „Totentanz Dresden“ (1945-1947) thematisiert die Zerstörung seiner Heimatstadt durch Luftangriffe der Alliierten.

Einen ideologisch angepassten Stil findet Franz Radziwill. Er tritt 1933 in die NSDAP ein und zählt – mit Berufung an die Kunstakademie in Düsseldorf wenige Monate später – anfangs zu den Profiteuren des Nationalsozialismus. Die Entlassung aus dem Lehramt 1935 (nach Denunzierung durch Studenten wegen seines
expressionistischen Frühwerks) wie auch ein Ausstellungsverbot und die Beschlagnahmung von Werken dämpfen die Karriere. Dennoch kann er sich mit lokalen Autoritäten arrangieren und wird 1935 Kreiskulturstellenleiter im damaligen Kreis Friesland und erhält immer wieder öffentliche und private Aufträge.

Dem Schutz und der Wahrung von Werken jener Zeit verschreibt sich Hannah Höch. Ihre im Jahr 1932 bevorstehende, erste große Einzelausstellung wird von den neuen Machthabern kurz vor Eröffnung verhindert. Der Kunststil des Bauhaus entspricht nicht der NS-Ideologie. Höch thematisiert in ihrem Werk fortan die Bedrohung durch die Nationalsozialisten wie in ihrem Aquarell „Unkraut“ von 1938, in dem ein Jenes eine friedliche Landschaft überwuchert. Ihr Vermächtnis liegt aber auch darin, dass sie Bilder von vielen Exilkünstlern aufbewahrte. Ein Umstand, der sie – wie viele zuvor Genannte – in ständiger Angst vor Entdeckung hielt. Höch zog „aufs Land“ und pflegte kaum Kontakte. Isolation war ihr ständiger Begleiter.

Die NS-Kunstpolitik mit der Emigration vieler Kunstschaffender, Diffamierung von Werken und dem Tausch – im Besonderen aber dem Verkauf – von Arbeiten zur Finanzierung politischer Maßnahmen führt zu Leerständen in den Museen, wie uns Frau Noll noch mitteilt. Wir sind froh, dass wir an diesem Abend in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt reichlich Werke sehen und uns diesen wichtigen Zeitzeugen deutscher Geschichte widmen sowie berufliche Strategien im Umgang mit dem NS-Regime praxisnah erfahren konnten.

Nancy Luthardt
Vorstandsvorsitzende RG Mitte

SN

Bildquelle 1: © Galerie Berinson, Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Bildquelle 2: © Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Herbert Fischer
Bildquelle 3: © Schirn Kunsthalle Frankfurt 22, Foto: Norbert Miguletz

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