LAG Köln: Fristlose Kündigung aus betriebsbedingten Gründen?

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, betriebsbedingten Kündigung. Der Geschäftsbetrieb der Beklagten, einem Handelsunternehmen für die Möbelindustrie, ist allein auf den Vertrieb bzw. die Vermittlung von Dekorpapier für die Möbelindustrie in Russland ausgerichtet. Der Umsatz wurde allein in Russland generiert. Aufgrund unionsrechtlicher Sanktionsmaßnahmen als Reaktion auf Russlands Invasion in der Ukraine ist der Beklagten der Handel mit Dekorpapier für Möbel mit diesem Land ab April 2022 untersagt.

Die Beklagte kündigte daraufhin im Mai 2022 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos.

Gegen die Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und wandte u.a. ein, dass kein außerordentlicher (fristloser) Kündigungsgrund vorliegen würde.

Das Unternehmen argumentierte dahingehend, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei. Aufgrund der unionsrechtlichen Sanktionen bestehe keine Möglichkeit mehr, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen. Die außerordentliche Kündigung aller Mitarbeitenden zum Ende Mai 2022 sei ihre einzige Option, sich zu retten und ggf. nach Ende der Sanktionen einen Geschäftsbetrieb wieder aufnehmen zu können. Sie könne auch keinen Lohn zahlen, da sie selber keinen Umsatz generieren dürfe. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2022 sei sowohl ihr als auch dem Kläger, der seine wöchentlich verpflichtende Arbeitszeit ableisten müsse, ohne dabei mangels Umsatzes seiner Tätigkeit als Buchhalter nachkommen zu können, unzumutbar. Der Kläger sei im Gegensatz zu ihr, die schlicht kraft politischer Entscheidung um ihre Existenz gebracht und in ihrer Berufsausübung vernichtet werde, sozial abgesichert.

Das Arbeitsgericht Köln gab der Klage im Wesentlichen statt und begründete, dass ein außerordentlicher Kündigungsgrund nicht vorliege.

Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung komme in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen sei und dies dazu führe, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsse, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstehe. Dieser Fall liege hier nicht vor, da das Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar sei. Eine Gefahr, den Kläger über Jahre hinweg vergüten zu müssen, bestehe daher nicht. Es habe sich lediglich ein unternehmerisches Risiko realisiert. Dies könne nicht auf den Kläger abgewälzt werden. Dass die Beklagte ggf. nicht in der Lage sei, Lohnzahlungen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erbringen, rechtfertige keine fristlose Kündigung. Ob das Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2022 für den Kläger unzumutbar sei – wofür nichts spreche – sei nicht relevant. Die nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umdeutbare Kündigung beende das Arbeitsverhältnis nach § 622 Absatz 2 Nr. 7 BGB zum 31.12.2022.

Die Beklagte legte gegen das Urteil des Arbeitsgericht Berufung ein.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts habe erkennbar nicht die speziellen und gerade nicht üblichen Umstände dieses Einzelfalles berücksichtigt. Auch die Bewertung und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile sei nicht bzw. unzureichend erfolgt. Die Zumutbarkeit für den Kündigenden sei entgegen der gesetzlichen Vorgabe nicht geprüft worden. Ein staatlich angeordnetes Berufsverbot sei an sich geeignet, ein wichtiger Kündigungsgrund zu sein. Mittlerweile bestimme § 626 BGB ganz genau, dass nur ein solcher Grund wichtig sei, wenn Tatsachen vorlägen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne, während der Gesetzeswortlaut vor der Gesetzesänderung im Jahr 1969 jegliche rechtliche Bestimmung, wann ein wichtiger Grund vorliege, habe vermissen lassen. Das Fehlen der Gefahr, den Kläger über Jahre hinweg vergüten zu müssen, bedeute nicht automatisch, dass eine außerordentliche Kündigung unzulässig sei. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts setze der Gesetzeswortlaut nämlich nicht voraus, dass eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei. Zentral fehlerhaft sei die Behauptung des Arbeitsgerichts, die aufgetretenen Umstände seien dem unternehmerischen Risiko zuzuordnen. Wenn ein Unternehmen seine Unternehmung binnen kürzester Zeit nicht mehr unternehmen dürfe, bestehe kein unternehmerisches Risiko. Das Geschäftsfeld sei auch nicht weggebrochen. Es existiere weiterhin und wäre auch heute noch profitabel. Es liege allein an der Politik, dass die Tätigkeit nicht ausgeübt werden könne. Eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung und Lohnfortzahlung stelle nichts anderes dar als eine faktische Bestrafung ohne jegliches Verschulden, zumal die Beklagte dem Kläger auch keine Arbeit anbieten könne. Es müsse auch bewertet werden, dass die Beklagte dem Kläger dennoch eine Auslauffrist gewährt habe. Der Kläger sei auch – anders als die Beklagte – sozial abgesichert.

Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung als unbegründet zurück.

Betriebseinstellung und -einschränkung sind unabhängig davon, ob sie auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhen oder zwangsläufig eintreten, regelmäßig kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung (BAG vom 23.01.2014, 2 AZR 372/13; vgl. zu außerordentlichen Kündigung des Geschäftsführers: BGH vom 28.10.2002, II ZR 353/00). Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung in Form einer werthaltigen Gegenleistung gegenüberstünde. Allerdings ist der Arbeitgeber in diesem Fall in besonderem Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn sämtliche denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG vom 18.06.2015, 2 AZR 480/14; BAG vom 20.06.2013, 2 AZR 379/12). Den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB entsprechen die prozessualen Anforderungen an den Umfang der Darlegungen des Arbeitgebers. Dieser hat von sich aus darzutun, dass bei der genannten Konstellation keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen, betriebsbedingten Kündigung zum „wichtigen Grund“ (BAG vom 18.06.2015, 2 AZR 480/14). Es handelt sich hierbei um eine Tatbestandsvoraussetzung.

Vorliegend fehlt es bereits an der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Kläger ordentlich unkündbar sein müsste, so dass es nicht darauf ankommt, ob Beschäftigungsmöglichkeiten noch vorhanden sind. Das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis ist ordentlich kündbar. Zwar ist der Beklagten in diesem Zusammenhang insoweit recht zu geben, dass sich dieses Erfordernis nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Dies ist zum einen bei einer Generalklausel – wie der des § 626 Absatz 1 BGB – durchaus naheliegend. Zum anderen berücksichtigt die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass die außerordentliche Kündigung stets ultima ratio sein muss, es vorliegend also keine andere, dem Arbeitgeber zumutbare Möglichkeit mehr gibt. Zumutbar ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, von der es abzuweichen keinen Grund gibt, im Regelfall aber die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist, weil in diesem Falle nicht droht, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten. Anders formuliert: Im Regelfall ist es dem Arbeitgeber zuzumuten, bei Wegfall des Arbeitsplatzes – aus welchen Gründen auch immer – das (sinnentleerte) Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte übersieht, dass mit dieser Annahme die Folgefrage der Vergütung noch nicht beantwortet worden ist. Möglicherweise ist die Frage des Annahmeverzuges im Falle des Ausspruchs eines Berufsverbotes aufgrund politischer Erwägungen anders zu beantworten, weil sich in diesem Falle eben nicht das Betriebsrisiko realisiert hat (vgl. zum staatlich verfügten allgemeinen Lockdown: BAG vom 13.10.2021, 5 AZR 211/21). Diese Frage ist vorliegend jedoch nicht streitgegenständlich.

Die Beklagte übersieht im Rahmen ihrer Argumentation auch folgendes:

Bei der vorliegenden Konstellation – einem staatlich angeordneten Berufsverbot – sind auch die Interessen des Klägers zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt es – wie das Arbeitsgericht richtigerweise erkannt hat – durchaus und selbstverständlich im Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuhalten. Es ist nicht erkennbar, weshalb ein staatlich angeordnetes Berufsverbot allein der Kläger tragen muss.

Abschließend ist zu berücksichtigen, dass – wenn man ausnahmsweise einen wichtigen Grund dennoch annehmen möchte – dieser Grund regelmäßig keine fristlose Kündigung rechtfertigt, sondern grundsätzlich eine Auslauffrist unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist einzuhalten ist (vgl. hierzu BAG vom 23.01.2014, 2 AZR 372/13; ErfK/Niemann BGB § 626 Rn. 89). Die Beklagte gewährte vorliegend zwar eine Auslauffrist, jedoch nicht unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. Auch aus diesem Grunde war die außerordentliche Kündigung unwirksam.

Die unwirksame außerordentliche Kündigung konnte jedoch in eine – wirksame – ordentliche Kündigung umgewandelt werden.

Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde, § 140 BGB.

Die Vorschrift dient der Verwirklichung privatautonomer Selbstgestaltung. Der Zweck der Bestimmung besteht darin, den von den Parteien erstrebten wirtschaftlichen Erfolg auch dann zu verwirklichen, wenn das von ihnen dafür gewählte rechtliche Mittel unzulässig ist, aber ein anderer, rechtlich gangbarer Weg zur Verfügung steht, der zu einem wirtschaftlich annähernd gleichen Ergebnis führt (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 140 Rn. 1).

So verhielt es sich hier:

Die Beklagte wollte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unter allen Umständen beenden. Da die außerordentliche Kündigung vom 05.05.2022 mit sozialer Auslauffrist zum 31.05.2022 – wie dargelegt – unwirksam war, hatte eine Umdeutung dieser einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung in eine ordentliche Kündigung, für die es mangels Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auch keiner sozialen Rechtfertigung bedurfte, zu erfolgen. Unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB fand das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis mithin zum 31.12.2022 sein Ende.

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