Nie wieder ist JETZT – Wir dürfen Antisemitismus keine Chance geben!

Interview mit Dr. Josef Schuster

(Präsident des Zentralrats der Juden)

(c) AdobeStock

Schmidt: Sehr geehrter Herr Dr. Schuster, ich freue mich sehr, dass Sie sich zu diesem Interview bereiterklärt haben.

Bevor ich das Kernthema dieses Interviews ansprechen möchte, könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern bitte einmal zusammenfassen, was Ihre Aufgaben als oberster Vertreter aller jüdischen Gemeinden in Deutschland ist.

Dr. Schuster: Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist der politische Dachverband von 105 jüdischen Gemeinden, dem ich als Präsident vorstehe. Meine Hauptaufgabe ist es, die Interessen der jüdischen Gemeinden zu vertreten, vor allem gegenüber der Politik, also der Bundesregierung und dem Bundestag, aber auch in anderen Bereichen, wie im Kultur- oder Bildungsbereich. Es geht dabei vorrangig um die Umsetzung der Religionsfreiheit sowie die Sicherheit jüdischen Lebens. Daneben bin ich Ansprechpartner für unsere Landesverbände und Gemeinden und kümmere mich auch um innere Angelegenheiten.

Schmidt: Anlass für dieses Gespräch ist leider ein besorgniserregender und trauriger Grund. Während des Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Hamas im Mai waren bei vielen anti-israelischen Demonstrationen eindeutige antisemitische Rufe zu hören, die zum Hass gegen Juden aufgerufen haben. Synagogen und jüdische Symbole wurden beschmiert oder beschädigt. Die Polizei hat teilweise tatenlos zugeschaut, ist nicht eingeschritten.

Die aktuelle Veröffentlichung Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hat dazu ergeben, dass 2020 insgesamt 2.351 antisemitische Straftaten angezeigt wurden. Erschreckende Ereignisse und Zahlen!

Zunächst meine grundsätzliche Frage: Haben wir in Deutschland ein dauerhaftes Problem mit dem Antisemitismus?

Dr. Schuster: Umfragen bestätigen seit Jahrzehnten, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung antisemitische Einstellungen haben. Definitiv haben wir ein Antisemitismus-Problem bei Rechtsextremisten und auch bei radikalisierten Muslimen – wie es sich bei den Demos im Mai gezeigt hat. Besorgniserregend ist, dass sich eine massive Israel-Feindlichkeit bis in die Mitte der Gesellschaft findet, die häufig nichts Anderes als verkappter Antisemitismus ist.

Schmidt: Wie erklären Sie sich die immerwährende anti-jüdische Stimmung? Liegt es an mangelnder Aufklärung? Warum geht Kritik an der Politik Israels fast immer mit Antisemitismus einher?

Dr. Schuster: Eine einfache Erklärung gibt es nicht, weil es verschiedene Formen von Antisemitismus gibt und er viel Facetten hat. Bildung spielt eine große Rolle. Je mehr wir gerade jungen Menschen über das Judentum und den Nahostkonflikt vermitteln, desto eher werden Vorurteile in sich zusammenfallen. Leider spielen viele Medien aus der arabischen Welt sowie das Internet eine ungute Rolle. Dort wird häufig ein völlig verzerrtes Bild von Israel und von Juden generell transportiert. Auch Rechtsextremisten nutzen die sozialen Medien, um junge Leute zu erreichen. So verbreiten sich alte judenfeindliche Stereotype in modernisierter Form und leider auch in rasender Geschwindigkeit.

Schmidt: Wie können wir alle dagegen wirksam vorgehen? Wie kann insbesondere ein Berufsverband wie der DFK dabei mitwirken gegen Antisemitismus vorzugehen und diesen zu verhindern?

Dr. Schuster: Manchmal wäre einfach Zivilcourage wichtig. Das heißt, wenn im Freundeskreis abfällige Witze über Juden gemacht werden, einzuschreiten, den Mund aufzumachen. Das gilt übrigens genauso für rassistische oder homophobe Bemerkungen. Ein Berufsverband kann natürlich viel mehr machen: Fortbildungen anbieten, Israel-Reisen oder Begegnungen mit Juden, wie es etwa das Programm „Meet a Jew“ des Zentralrats der Juden anbietet. Ich denke, besonders wichtig wäre es, dass Ihre Verbandsmitglieder in dieser Hinsicht Vorbilder für die jungen Kollegen sind und gerade Azubis Bildungsangebote gemacht werden.

Schmidt: Vielen Dank, Herr Dr. Schuster für das Interview.

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