Was müssen Führungskräfte können/tun, um Konflikte zu erkennen?

Prof. Dr. Angela Witt-Bartsch

Schwerpunkt Konflikte

von Prof. Dr. Angela Witt-Bartsch
Konflikte haben in ihrer meist sehr harmlosen Anfangsphase viele verschiedene Gesichter und meistens noch sehr wenig Eskalationspotenzial. Das ist nicht ungewöhnlich, da ihr häufigster Auslöser mangelnde Kommunikation ist. In der Praxis werden deshalb die ersten Anzeichen von zukünftigen Konflikten leider gerne übersehen. Dabei ist jetzt noch Zeit einzugreifen, bevor es (weiter) eskaliert. Wer Konfliktpotenzial nicht erkennt oder bewusst ignoriert, macht einen großen Fehler. Denn mit zunehmender Sicht- und Spürbarkeit wachsen schädliche Symptome: Einen „ausgewachsenen Konflikt“ zu lösen, braucht enorm Aufwand. Konflikte schädigen Beziehungen, demotivieren alle – sogar nicht direkt Beteiligte – und führen zu Effizienz- und Produktivitätsverlusten. Um das zu vermeiden, ist es für Führungskräfte wichtiger denn je, frühzeitig konfliktgeladene Situationen in ihrem Verantwortungsbereich zu erkennen. Daher lohnt es sich immer, genauer hinzuschauen, auf die Menschen zu achten und die eigenen Antennen zu nutzen, um atmosphärische Störungen wahrzunehmen und zwischenmenschliches Knistern zu erfassen.

Die eigene Einstellung: Konfliktscheu oder konfliktfähig?

Je nachdem, wie wir zum Thema „Konflikt“ stehen und welche Erfahrungen wir dazu bisher gemacht haben, werden wir uns völlig unterschiedlich verhalten. Wer Konflikte als etwas Unangenehmes empfindet, sie nicht gut aushält und bisher schlechte Erfahrungen damit gemacht hat, wird in konfliktgeladenen Situationen eher abwartend bzw. zögerlich reagieren oder, wenn der Frustrationspegel hoch ist, die Verärgerung schon mal an anderer Stelle zeigen.

Konfliktscheue Führungskräfte wollen sich am liebsten gar nicht erst um sich ankündigende Missstimmigkeiten kümmern à la „Meine Mitarbeiter*innen sind doch alle Erwachsen, die müssen das unter sich klären können“. Wegschauen, nichts sagen oder zunächst abwarten ist ihre Devise, um das harmonische Miteinander zu erhalten und weiterhin von allen gemocht zu werden.

Doch was passiert, wenn mit zunehmender Eskalation der innere und äußere Druck so stark wächst, dass diese Ignorier-Schweige-Aussitz-Taktik nicht mehr weiter aufrechterhalten werden kann? Im schlimmsten Fall platzt einem der Kragen, und die gesamte angestaute Wut entlädt sich auf einmal. Meistens noch an unpassender Stelle. So erhält die Angst vor Konflikten wieder neuen Nährboden. Ein Teufelskreis, aus dem man nur rauskommt, wenn man seine eigene Konfliktfähigkeit weiterentwickelt. Es ist ganz normal, wenn Menschen mit unterschiedlichem Wissen und Erfahrungen zusammenarbeiten, dass Konflikte entstehen. Das wird immer so sein, und das ist per se nicht schlimm. Gefährlich wird es dann, wenn diese Situationen/Probleme nicht offen angesprochen, sondern unter den Teppich gekehrt werden bzw. ein fauler Kompromiss geschlossen wird. In beiden Fällen wird das Problem nicht kleiner, sondern größer, und irgendwann wird sich daraus ein sich weiter eskalierender Konflikt entwickeln, der Effizienz und Produktivität reduziert. Um das zu verhindern, ist es gerade für Führungskräfte sehr wichtig, konfliktfähig zu sein: den Mut und die Bereitschaft zu haben, auf erste Anzeichen offen einzugehen, um eine Lösung herbeizuführen, die den Bedürfnissen und Interessen aller Beteiligten gerecht wird.

So erkennen Sie Konflikte, bevor es welche werden

Konfliktfähigkeit ist erlern- und verbesserbar!

1. Genau hinschauen statt wegsehen

Ein Konflikt bricht nicht einfach so über einen herein. Es gibt immer Anzeichen! Leider sind diese in den seltensten Fällen offensichtlich. In der Regel geht es, wie bei einem aufziehenden Gewitter, mit atmosphärischen Störungen los. Man spürt, dass etwas in der Luft liegt. Das können verbale Auseinandersetzungen sein, etwa heftige Diskussionen, wo man nicht genau weiß, worum es eigentlich geht. Manchmal kommt es zu pauschalen und persönlichen Vorwürfen oder offenen Angriffen, die in der bestehenden Situation nicht nachvollziehbar sind. Achten Sie unbedingt auf die Stimmung, etwa wenn in einem Meeting oder in der Abteilung die buchstäbliche „dicke Luft“ herrscht, selbst wenn keiner was sagt.

Als Führungskraft darf man so was nicht ignorieren! – Oft melden sich die Mitarbeiter sogar, sie beklagen sich (über einen Kollegen/Externen/eine andere Abteilung) oder setzen etwas subtiler die Führungskraft in einer E-Mail in cc oder bcc. Besonders Streit oder „Antihaltungen“ in Besprechungen gilt es ernst zu nehmen. Es mag verlockend sein, es auf sich beruhen zu lassen oder zu hoffen, dass es von selbst vergeht. Doch das Vorbild der Führungskraft hat dabei eine besondere Wirkung: Mitarbeiter*innen, die merken, dass ihre Führungskraft so was wahrnimmt und auf den Tisch bringt, tun es ihr nach. So entsteht eine offenere Kommunikationskultur.

„Hinschauen statt wegsehen“ heißt übrigens nicht, dass Sie als Führungskraft alles regeln müssen! Es geht darum, den Finger draufzulegen, wenn etwas ganz offensichtlich in der Luft liegt oder Leute insgeheim Kämpfe austragen, die zu Lasten des gesamten Teams gehen können.

2. Die eigene Wahrnehmung verbessern, um Konflikt-Signale frühzeitig zu erkennen

Als Führungskraft fällt es uns nicht immer leicht, Anzeichen von (zukünftigen) Konflikten frühzeitig zu erkennen. Zu den eben genannten atmosphärischen Störungen kommt nämlich noch persönliches Verhalten, u. a. dauerhafte Unfreundlichkeit, Ironie und Zynismus, Vorurteile, Störungen, Widerstand gegen Veränderungen, „Ja, aber“- bzw. abweisende Haltung, Verletzungen von vereinbarten Normen und Werten, Uneinsichtigkeit, Sturheit, Neid, Feindseligkeiten, mangelnde Initiative und Mitdenken, zunehmende Passivität, ständige Entschuldigungen, Ausflüchte etc.

Weitere Konfliktsignale können sein, wenn jemand z. B. Informationen nur unvollständig weitergibt bzw. erhält, Rückrufe „vergessen“, Vereinbarungen unabgestimmt verändert werden, die Abgabe von Unterlagen sich verzögert …

Sicherlich kann das eine oder andere mal passieren. Doch häuft es sich bei der Zusammenarbeit, lohnt sich eine Überprüfung, ob es unabsichtlich & einmalig oder absichtlich & mehrfach erfolgt. Bei Letzterem bekommt es den unguten Beigeschmack einer „Bestrafung“. Doch wofür? Das bleibt meist im Dunkeln, da die betroffene Person sich weder die Zeit nimmt noch Geduld und Lust hat, sich damit weiter zu beschäftigen. Stattdessen kann es bei ihr zu Frustration, Hilflosigkeit, Ärger, Wut, Hass oder gar Rachegelüsten gegenüber der anderen Person führen. Jedes der genannten Signale ist für sich allein genommen noch kein Vorbote für einen Konflikt. Doch in Kombination kann jedes Signal ein erstes Anzeichen für schon schwelende, noch unausgesprochene Konflikte sein.

3. Emotionen zeigen und aushalten können

Unsere sieben angeborenen primären Emotionen bzw. Reaktionsmechanismen – Freude, Überraschung, Wut, Angst, Trauer, Ekel und Verachtung – können wir nicht an der Unternehmenspforte abgeben. Diese hat jeder von uns immer dabei. Selbst, wenn sie nicht zu jeder Zeit sichtbar sind, können sie Auswirkungen auf unsere Arbeit haben. Freude etwa kann uns energiegeladener machen und vorantreiben. Angst kann dazu führen, dass wir aufmerksamer sind oder vorsichtiger (re-)agieren.

In konfliktgeladenen Situationen können solche Gefühle nicht nur entstehen, sondern auf die andere Konfliktpartei sowohl positive als auch negative Wirkung haben. Tatsache ist, dass negative Emotionen nicht angenehm sind. Weder für die Person, die diese zeigt, noch für die andere, die darauf reagieren muss. Umso wichtiger ist es, sich seiner eigenen Emotionen und der Wirkung auf andere bewusst zu sein, da diese unser Miteinander beeinflussen. Nicht umsonst heißt es: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ So entscheidet jeder mit seinem Verhalten in einer Konfliktsituation darüber, ob diese gelöst wird oder weiter eskaliert. Besonders in kritischen Situationen ist es daher wichtig, emotional angemessen zu (re-)agieren. – Nicht nur für die unmittelbar Beteiligten, sondern ganz besonders als Führungskraft. Aus meiner Erfahrung ist es dabei sehr hilfreich, Person und Sache zu trennen. Mit dieser Trennung fällt es leichter, gegenseitige Sympathien bzw. Antipathien nicht zu berücksichtigen und Gesagtes nicht sofort persönlich zu nehmen.

4. Fingerspitzengefühl beweisen, um weitere Eskalationen zu vermeiden

Toben, Wutanfälle, Schreien … – ungeeignete Reaktionen in bzw. auf Konflikte, katapultierten Sie auf der Sympathieskala der Kollegen auf den letzten Platz und können zusätzlich eskalierend wirken. „Auf den Tisch zu hauen“, ist also kontraproduktiv, wenn man Konflikte erkennen und lösen will. Doch Vorsicht, auch subtilere Reaktionen – derer man sich oft nicht so bewusst ist – tragen zur Eskalation bei:

  • Nonverbales: Ein Augenrollen, Gesicht verziehen, ein vielsagender Blick an einen anderen (etwa in einem Meeting), mit dem man das Feuer schürt …
  • nicht ernst nehmen: Missstimmigkeiten, die sich in Beschwerden oder Unmut äußern, werden gerne beschwichtigt oder überhört. Manchmal bleibt es nicht aus, dass Mitarbeiter abgestempelt werden, wenn sie auf etwas pochen oder über die mangelnde Kooperation mit einer Person/Abteilung klagen. Werden aus Sicht eines Mitarbeiters berechtigte Kritik/Missstände nicht ernst genommen oder abgetan, trägt das ebenfalls zur Eskalation bei!
  • Partei ergreifen: Als Führungskraft reagiert man menschlich. Mit manchen Mitarbeitern kommt man besser klar oder sie stehen einem näher als andere Beteiligte. Hier kann es passieren, dass ohne genug Information – oder ausgewogene Sicht – automatisch jemandem Recht gegeben wird. Auch das führt dazu, einen Konflikt zu eskalieren.

Erfolgreiches Konfliktmanagement erfordert darum Wertschätzung, Akzeptanz, Toleranz und Verständnis. Das ist die beste Grundlage für den offenen Umgang miteinander sowie das frühzeitige Erkennen, Ansprechen und Lösen von konfliktgeladenen Situationen. Auf dieser Basis lässt sich kontrovers und durchaus emotional diskutieren, ohne dass jemand Angst vor persönlichen Verletzungen haben muss. Eine respektvolle, gleichwertige Haltung unterstützt einen partnerschaftlichen Umgang auf Augenhöhe und vermeidet/reduziert. Angriffe, Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Respektvoller Umgang bedeutet allerdings nicht, Konflikte zu verharmlosen oder zu übertreiben. Als Führungskraft ist es besonders wichtig, diesen die richtige Dimension zu geben, statt sie wichtiger oder unwichtiger zu machen, als sie sind.

Schärfen Sie Ihre Antennen!

Die beste Führungskraft hinterfragt sich kontinuierlich – auf konstruktive Weise. Dazu gehört, sich gezielt zu beobachten. Nicht, um sofort etwas zu verändern. Sondern zunächst einmal, um ganz genau zu erkennen: Wo bin ich bereits aufmerksam – und was geht eher an mir vorbei? Und wie verhalte ich mich, wenn ich merke: Oha, da läuft es zwischenmenschlich gerade alles andere als rund?

Kontakt: office(at)3e-netzwerk.de

Prof. Dr. Angela Witt-Bartsch ist Expertin für Unternehmensorganisation und Personalentwicklung. Sie ist Gründerin des 3E-Netzwerk, der 3E-Trainingsakademie und Dozentin an der FOM-Hochschule.

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