New Work und Agiles Arbeiten: Grundlagen und Herausforderungen

Prof. Dr. Arnd Schaff

Agiles Arbeiten und New Work sind zwei Trends, die gut zusammenpassen. New Work lebt von den Schlagworten Potenzialentfaltung, Kreativität, Gemeinschaft, Werteorientierung, Selbstständigkeit und der gleichberechtigten Symbiose von Arbeits- und anderen Lebenswelten. Agiles Arbeiten steht für eine schnelle und effektive Zielerreichung, die vor allem durch die Eigenverantwortung des Einzelnen, kreatives Handeln und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit im Team erreicht wird. Strukturen sind in diesem Konzept pragmatisch-flexibel statt dogmatisch-starr, Prozesse folgen aktuellen Notwendigkeiten und sind damit ständig im Fluss. Agilität passt sich damit sehr gut in das übergeordnete Konzept von New Work ein (Abb. 1).
Das Konzept des agilen Arbeitens ist dabei kein neuer Trend. Die Leitgedanken wurden schon 2001 im „Manifesto for Agile Software Development“ niedergeschrieben. Die dort formulierten Grundwerte finden mittlerweile auch weit außerhalb der Softwareentwicklung und IT-Industrie sehr gute Akzeptanz als Basis einer neuen Art des Arbeitens. Wesentliche Eckpunkte des ursprünglichen Manifestes sind:

New Work und Agiles Arbeiten. Quelle: eigene Darstellung
  1. Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
  2. Funktionierende Software ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation
  3. Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als die Vertragsverhandlung
  4. Reagieren auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines Plans

Eine weit verbreitete, konkrete Form des agilen Arbeitens ist „Scrum“. Der Kerngedanke ist dabei, eine größere Aufgabe in Teilschritte zu zerlegen, diese zu bearbeiten und damit frühzeitige Teilauslieferungen an den Kunden zu ermöglichen. Innerhalb von Scrum wird dieses Vorgehen als „inkrementell“ bezeichnet: Die Gesamtlösung wird als Summe eigenständig erreichter Teillösungen aufgebaut. Die Projektphasen zur Planung und Umsetzung dieser Teillösungen heißen „Sprints“ und dauern in der Regel nicht länger als einige Wochen.

Zu Beginn eines Sprints wird aus dem Gesamtvorrat der Aufgaben die nächste sinnvolle Teilaufgabe ausgewählt, konkrete Ziele bestimmt und abgearbeitet. Das Taskboard ist dabei ein zentrales Steuerungsinstrument. Am Ende des Sprints steht ein auslieferbares und marktfähiges Teilprodukt, das dem Kunden übergeben wird. Nach dem Sprint wird die Teamleistung reflektiert und mögliche Verbesserungen erarbeitet – um dann den nächsten Task auszuwählen. In Abb. 2 sind der grundsätzliche Ablauf und die Teilnehmer eines Sprints im Scrum dargestellt.

Ablauf und Teilnehmer eines Sprints im Scrum. Quelle: eigene Darstellung

Der gesamte Ablauf ist grundsätzlich hierarchiefrei: Das Team von Spezialisten organisiert sich als Gruppe selber, ebenso wie der Einzelne im Team seine eigenen Aufgaben. Der Product Owner hat die fachliche Verantwortung für ein Produkt, das entwickelt werden soll. Er kommuniziert mit dem Kunden und ist ihm letztlich für die Lieferung verantwortlich. Er hat dabei keine disziplinarische Rolle gegenüber dem Team, sondern ist Ideengeber, Coach und Mentor. Der Scrum Master ist für die Prozessgestaltung und für die Erhöhung der Teamproduktivität verantwortlich. Darüber hinaus bemüht er sich um die Einhaltung der Scrum-Regeln. So muss er beispielsweise sicherstellen, dass das „Daily Scrum“ stattfindet – eine Mikroversion der Retrospektive an Ende des Sprints. Auch in dieser Rolle liegt keine disziplinarische Verantwortung. Er vermittelt im Konfliktfall zwischen den einzelnen Parteien und sorgt für eine produktive Arbeitsatmosphäre.

Aus dieser Beschreibung wird deutlich, dass sich die Anforderungen an die Beteiligten im Scrum ganz wesentlich von den Herausforderungen in einer klassischen Organisation unterscheiden. Für die Umsetzung dieser konkreten Form von New Work braucht es eine Reihe von Veränderungen.

  • Kunden- und Auftragsorientierung sind die führenden Denkhaltungen: An die Stelle klassischer Aufgabenpläne und Stellenbeschreibungen tritt ein Kunden-/Lieferanten-Verhältnis, das die Arbeitsinhalte und Ziele jeweils neu bestimmt. Das erfordert eine schnelle Anpassungsfähigkeit jedes Einzelnen und eine klare innere Ausrichtung auf den Kundennutzen.
    Herausforderungen: Auch wenn das Schlagwort der Kundenorientierung in vielen Organisationen gerne und selbstverständlich verwendet wird, stellt der Beobachter dennoch häufig fest, dass darin mehr Wunsch als Realität liegt. Besonders im Fall interner Kunden ist oft noch viel Potenzial hin zu einem wirklich grundlegenden Wandel in der Grundhaltung.
  • Führung muss neu definiert werden: Von der klassischen Vorgesetztenrolle hin zu einer Demokratisierung und Atomisierung der Verantwortung. Der Einzelne ist in seiner Selbstorganisation und -motivation gefragt, das Team als selbstorganisierendes System. Es übernimmt die volle Verantwortung für die Erledigung der vom Product Owner gestellten Aufgaben, der die fachliche Führung ausübt. Der Scrum Master übernimmt als Coach ebenfalls einen Teil der alten Führungsrolle.
    Herausforderungen: Das Arbeiten in voller eigener Verantwortung und ohne direkte Führung ist in den meisten Unternehmen sehr ungewohnt. Auch wenn es in klassischen Projekten vielleicht bereits weniger festgefügte Leitungsstrukturen gibt, ist der Weg zu voller Eigenverantwortung und Selbstorganisation noch weit – und eine große Herausforderung für viele Teammitglieder. Auf der positiven Seite ergibt sich so Freiheit und Raum für Kreativität und Selbstentfaltung, auf der anderen Seite können Ängste entstehen. Auf der Ebene des Teams muss dem entstehenden Führungsvakuum besondere Aufmerksamkeit gewidmet und eine effektive und effiziente Form der Koordination gefunden werden.
  • Prozesse verändern sich grundsätzlich: Statische Vorgänge verschwinden zugunsten variabler Lösungen, alte Standardprozesse werden zu flexiblen Aufträgen. Dabei ist es wichtig, eine gut ausgebaute Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und das Augenmerk auf den Informationsfluss innerhalb des Unternehmens zu legen.
    Herausforderungen: Festgefügte Prozesse garantieren transparente, vorhersagbare Abläufe mit abschätzbaren Prozesskosten. Auf diese Sicherheit verzichtet agiles Arbeiten bewusst, um schneller, kreativer und effektiver zu werden. Aber es müssen auch die Risiken beachtet werden: Es können leichter wichtige Prozesselemente vergessen oder falsch ausgeführt werden, der Prozessaufwand ist oft unklar und kaum messbar und es können auch hier wieder Ängste aufkommen.
  • Neue Rollen entstehen: Mitarbeitende in klassischen Linien- oder Spezialisten-Rollen werden nun selbstverantwortlich, wie oben beschrieben. Dazu müssen neue Fähigkeiten, aber auch eine neue innere Haltung entwickelt werden. Ein Product Owner unterscheidet sich erheblich von einer klassischen Führungskraft, weil er das Team nicht disziplinarisch zum Ziel führen kann – trotz der Produkt- und Lieferverantwortung gegenüber dem Kunden. Am vertrautesten ist die Rolle des Scrum Masters, der sich an klassischen Berater- und Coach-Profilen orientieren kann.
    Herausforderungen: Der Übergang in die neuen Rollen erfordert Zeit und Gelegenheit zum Lernen und Begleitung – vor allem aber Mut, den Willen zur Veränderung und eine gesunde Toleranz gegenüber den unvermeidlich auftretenden Ängsten als Startvoraussetzungen. Es wird sofort klar, dass kein Unternehmen diese Voraussetzungen durch Anweisung schaffen kann: Mitarbeitende müssen sich freiwillig in die neuen Rollen bewegen oder das agile Arbeiten wird scheitern.

Fazit: Agiles Arbeiten verspricht als eine der Ausgestaltungsformen von New Work neue Freiheiten und hat das Potenzial, gebundene Energien und Kreativität der Mitarbeitenden zu befreien. Auf der anderen Seite ist der Weg aus den vorherrschenden klassischen Strukturen oft noch sehr weit und muss sorgsam begleitet werden. Wenn diese Begleitung halbherzig oder gar nicht erfolgt, wird agiles Arbeiten nicht zu einer Verbesserung führen, sondern Ineffizienzen schaffen.

Bei einer professionellen Umsetzung, die die individuelle Ausgangssituation im Unternehmen und bei den Mitarbeitenden sorgfältig berücksichtigt, wird der Veränderungsprozess gelingen und so die Wettbewerbskraft und Attraktivität des Unternehmens nachhaltig steigern.

Literatur:

  • Beck, K., Beedle, M., Bennekum, A. v., Cockburn, A., Cunningham, W., Fowler, M., Grenning, J., Highsmith, J., Hunt, A., Jeffries, R., Kern, J., Marick, B., Martin, R. C., Mellor, S., Schwaber, K., Sutherland, J., Thomas, D. (2001). Manifest für Agile Softwareentwicklung. Abgerufen am 24.09.2020 von http://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html.
  • Häusling, A. (2020): Agile Organisationen: Transformationen erfolgreich gestalten – Beispiele agiler Pioniere. Freiburg: Haufe-Lexware.
  • Maximini, D. (2013). Scrum – Einführung in der Unternehmenspraxis: Von starren Strukturen zu agilen Kulturen. Berlin, Heidelberg: Springer.

Über den Autor
Prof. Dr. Arnd Schaff ist Wissenschaftler und Hochschullehrer am ifgs (Institut für Gesundheit und Soziales) an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management. Des Weiteren ist er u.a. Stell. Sprecher der Arbeitsgruppe BGF der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Unternehmensberater und unterhält eine Praxis für Psychotherapie.

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